Der Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890-1935) gehörte zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Das Kabarett gefiel ihm, er agierte auch als Journalist, Satiriker, Lyriker und Liedtexter. Für seine Glossen benutzte er oft ein Pseudonym. Lesenswert sind seine Ausführungen zum Wörtchen „eigentlich“:
„Das ist ein schönes, deutsches Wort, so schön, dass man es nicht einmal ins Französische übersetzen kann. ,Proprement dit‘ … nein, ,eigentlich‘ ist überhaupt kein Wort. Das ist eine Lebensauffassung.“
Eine Lebensauffassung: Wie man im Englischen oft das Füllwort „actually“ benutzt, so eben im Deutschen „eigentlich“. Es bedeutet meistens nichts – oder das genaue Gegenteil von dem, was gesagt wird. In einem Lied heißt es: „Eigentlich gibt es eigentlich nicht.“

Was mich zu meinem österreichisch-ungarischen Landsmann, dem Schriftsteller Ödön von Horváth (1901-1938), führt: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Vielfach zum Bonmot geworden, hat es das Füllwort „eigentlich“, wenn man darüber nachdenkt, in diesem Zusammenhang durchaus in sich: Alle sehen nur, was sie bei mir sehen (können), dabei bin ich „eigentlich“ ganz anders!

Ein Experiment für die Fastenzeit, statt Körperkult oder halbherziger Askese: Einüben, wie das geht – ein bisschen mehr ich selbst zu sein. Keine Rolle spielen, keine Fassade aufbauen, mich nicht hinter Floskeln verstecken – echt sein, authentisch. Das heißt auch: Gefühle zulassen, nicht nur auf Verstand und Kalkül setzen. Barmherzig sein. Auch mit mir selbst. Und: Damit rechnen, dass der Andere oder die Andere auch anders sein kann, als ich mir das vorgestellt habe.

Dieser Text wurde im Monatsanzeiger März 2017 der Jesuitenkirche St. Michael in München veröffentlicht.