Wer Anselm Grün ist, der schreibende Mönch der Abtei Münsterschwarzach, muss niemandem erklärt werden. Als der spirituelle Bestsellerautor 65 wurde, gab es seine Bücher in 32 Sprachen bei 16 Millionen verkauften Exemplaren. Und das ist schon wieder sieben Jahre her. Ein Benediktiner mit Rauschebart und Habit wirkt natürlich anders als ein Jesuit, der als solcher kaum erkennbar ist. Um die entsprechende „Aura“ kann man Pater Anselm nur beneiden. Aber er hat auch ganz menschliche Züge.

Einen davon hat er seinerzeit in „Stationen meines Lebens. Was mich bewegt, was mich berührt“ (2009) beschrieben. Er habe sich durchaus nicht immer im Griff, bei zwei Situationen könne er explodieren wie eine Rakete: Wenn er auf dem Weg zu einem Vortrag auf der Autobahn in einen Stau gerate. Und wenn sich vor einem Buffet Leute ewig nicht entscheiden könnten, was sie nehmen sollen und die ganze Kolonne dahinter warten lassen.

Ich fand dieses Eingeständnis ehrlich. Es tröstete mich: Spirituelle Zeitgenossen, Vorbilder, ja auch „Gurus“ (und Heilige) können auch explodieren! Nur ein Klischee besagt, dass geistliche Menschen immer stoisch ruhig sind, keine Gefühlsausbrüche kennen.

Wer Leidenschaft für Gott entwickelt hat, den ärgern auch einmal kleine Dinge des Alltags – die mächtig aufregen können. Macht Spiritualität lebenstüchtig? Von Mitbrüdern weiß ich: An einer Kaffeemaschine oder einem Eierkocher können „große Geister“ scheitern. Manchmal ist EQ eben nützlicher als IQ. Vor allem im Zusammenleben. Gefühle gibt es: Wie wir damit umgehen, wie wir sie zeigen – darauf kommt es an.

Lernen, eigene Gefühle zu kultivieren – dafür lässt sich auch beten! Ich tue das.

Dieser Text wurde im Monatsanzeiger November 2017 der Jesuitenkirche St. Michael in München veröffentlicht.