Was sich von Papst Franziskus auch lernen lässt: Respekt. Achtung vor Andersdenkenden.

Berührungsängste kennt er nicht. Auch Atheisten, Marxisten, Agnostikern kann er etwas abgewinnen. Er scheut nicht den Kontakt mit Ausgegrenzten und Marginalisierten.

Wiederholt hat er anerkennend von einer Frau erzählt, die 1947 von Paraguay nach Argentinien fliehen musste. Esther Balestrino de Careaga war Lehrerin an der Escuela técnica, wo Jorge M. Bergoglio zum Chemielaboranten ausgebildet wurde, bevor er Seminarist und 1958 Jesuit wurde. Sie beeindruckte den jungen Mann durch ihre Präzision und ihr politisches Engagement: »Sie hat mich definitiv gelehrt, was eine ernsthafte Arbeit ausmacht. Ich verdanke dieser großen Frau wirklich viel.«

Esther sympathisierte mit Kommunisten. Das wusste ihr Schüler, der durch sie mit anderen Ideen in Berührung kam als dem Peronismus, der in Argentinien Staatsdoktrin war. Als Esther 1976 wieder vor Bergoglio stand, der damals Provinzial war, bat sie ihn, »subversive« Literatur über Marx zu verstecken. Sie organisierte auf der Plaza de Mayo Zusammenkünfte, die die Militärjunta bewegen sollten, über das Schicksal der Verschwundenen (desparecidos) Auskunft zu geben.

Später wurde ihre 16-jährige schwangere Tochter Ana María entführt. Im Dezember 1977 wurde Esther selber verschleppt. Bei einem Todesflug (vueolo de muerte) wurde sie lebend von einem Flugzeug ins Meer geworfen. Sie war 59.

Franziskus hat bei Esther fürs Leben gelernt: Auch wenn ich anders denke, anders lebe, anders liebe, anders empfinde, anders glaube als andere Menschen – auch sie verdienen Respekt. Ich habe das von P. Alfons Klein SJ (1929–2015) gelernt.

Dieser Text wurde im Monatsanzeiger Oktober 2018 der Jesuitenkirche St. Michael in München veröffentlicht.