Die Exkursion lohnt, der Ausblick ist atemberaubend! Tagesausflug nach Masada, später noch ein kurzer Abstecher an den Badeort En Bokek am Toten Meer.
Auf dem Highway 1 erreicht man von Jerusalem kommend schon nach weniger als einer halben Stunde, in denen es kontinuierlich abwärts geht, stets mit Blick auf die jordanische Gebirgskette, die Markierung, dass der Meeresspiegel erreicht ist. Dort steigen Touristen gerne aus. Ein Beduine wartet mit seinem Kamel. Foto-Shooting! Immer wieder Schilder am Straßenrand, wie tief man ist: »– 300« usw. Linkerhand taucht bald Jericho auf, nicht weit entfernt der Grenzübergang nach Jordanien via Allenby- und King Hussein-Bridge. Rechts biegt man auf der Route 90 zum Toten Meer ab, in Richtung Ein Gedi und Masada. Manche fahren weiter bis Eilat am Roten Meer.
Masada (hebr. מצדה – Mezadá, Festung): ein geschichtsträchtiger Ort! Im 5. und 6. Jahrhundert siedelten sich hier christliche Mönche an. Reste einer Kirche sind noch zu erkennen. Danach jahrhundertelang – nichts. Erst 1838 wurde Masada von zwei amerikanischen Forschern »wiederentdeckt«. Bis dahin vergessen, aus schwer nachvollziehbaren Gründen, ist die jüdische Festung am Südwestende des Toten Meeres heute Teil eines israelischen Naturparks. Seit 2001 gehört die archäologische Ausgrabungsstätte zum Weltkulturerbe.
Der Schlangenpfad (Snape Path gate) führt nach oben: von minus 257 Metern auf plus 33 Meter über dem Meeresspiegel. 1971 wurde eine Seilbahn gebaut, es ist die tiefst gelegene der Welt. 2000 wurde sie erneuert und löste einen Touristenboom aus. Unvermeidlich: ein McDonald’s Restaurant in der Talstation, wo es auch ein Museum gibt. Als ich ankam, war der Pfad wegen Hitze (38 Grad im Schatten) gesperrt.
Der isolierte Tafelberg zwischen der judäischen Wüste bzw. Negev und Totem Meer steht wie ein Monolith in der Landschaft: steil abfallende Felsabhänge – 400 Meter auf der einen, 100 auf der anderen Seite. Herodes der Große hat hier an der Stelle einer früheren, etwas kleineren Befestigung, zwischen 30 und 40 n. Chr. in drei Phasen eine Festung bauen lassen, umgeben von Türmen und Mauern. Sie galt als uneinnehmbar. Auf dem Hochplateau, innerhalb der Mauern: Lagerhäuser und Zisternen, Pferdeställe, Unterkünfte, Kommandantur, Badehäuser und Schwimmbecken, mehrere Paläste samt Gästetrakt am Nordende in mehreren Etagen– mit allen Annehmlichkeiten der damaligen Zeit (im Sommer klimatisch besonders günstig gelegen). Der größte Palast ist aus Kalkstein gebaut, es gibt Reste von Wandmalereien im pompejanischen Stil und Mosaiken.
Auf Herodes folgten bald die Römer – und die wurden einige Jahrzehnte später, im Jüdischen Krieg, überrumpelt. Sikarier (»Messerstecher«, »Dolchträger«) nahmen die römische Garnison ein. Masada wurde zur Rebellenburg. Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 70 n. Chr. siedelten sich weitere Aufständische und Essener an, neue Gebäude wurden errichtet.
Masada wurde zum Symbol gegen die römischen Besatzer mit der zehnten Legion im Jahr 73/74. Josephus Flavius (»De bello Iudaico«) berichtet ausführlich darüber. Die Juden leisteten erbitterten Widerstand. Vorräte waren zur Genüge vorhanden, zunächst. Es war ein Kampf David gegen Goliath. Und die Römer saßen auf dem längeren Ast!
Als die Belagerten unter Führung von Eleazar ben-Ya’ir merkten, dass es zu Ende geht, beschlossen sie, lieber als freie Menschen zu sterben, als in römischer Sklaverei zu enden. Per Los wurde bestimmt, wer wen wann in welcher Reihenfolge umzubringen hatte. Über 900 Menschen. Kollektiver Selbstmord. Zwei Frauen und fünf Kinder überlebten, weil sie sich versteckt hielten.
Es gibt den »Mythos Masada«. Er wurde ein Bestandteil der »zionistischen Idee«: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Festung zum nationalen Symbol. Fast dreißig Jahre lang endeten die jährlichen Abschlussmanöver nach zwei Tagen Dauer auf der Festung in einem militärischen Zeremoniell mit einem symbolträchtigen Schwur der Soldaten (»Masada darf nie wieder fallen«) – Ausdruck des israelischen Selbstbehauptungswillens. Wegen der Sikarier und dem Kollektivselbstmord setzte man sie in den 1990er-Jahren aus. Heute wird die Synagoge auf dem Berg fallweise für Bar Mizwas genutzt.
»Ein ruhmvoller Tod ist besser als ein Leben im Elend«– heißt es bei Josephus Flavius. Pathetischer in dem auf dem auf dem Roman »The Antigonists« von Ernst K. Gann basierenden amerikanischen Film »Masada«: »Es ist besser zu sterben, als in Sklaverei zu geraten.«
Als die Römer seinerzeit, nach wochenlanger Belagerung und massiven Verlusten, endlich den Berg betraten, fanden sie nur Tote vor: Kinder, Frauen, Männer. Der römische Kommandeur Lucius Flavius Silva (Peter O’Toole) erkennt: Er hat nur einen nackten Felsen in der Wüste erobert. Er, Pragmatiker und Realist zugleich, hatte versucht, einen Waffenstillstand zu vereinbaren und wollte ein steuerfreies Jahr ausverhandeln. Kaiser Vespasian im fernen Rom dachte anders: keine Konzessionen an Rebellen! Was zunächst undenkbar scheint, die Eroberung von Masada, gelang, weil der Feldherr Rubrius Gallus die Idee mit der Belagerungsrampe hatte. Schließlich verwendeten die Römer sogar jüdische Zwangsarbeiter, die sie lebend gegen die Mauern schleuderten.
»Es ist besser zu sterben, als in Sklaverei zu geraten« – der Satz »Lieber tot als rot« begleitete meine Studienzeit: das Gespenst des Kommunismus. Es gibt andere Systeme, andere Verhaltensweisen oder Reaktionen, die unfrei machen, oft unmerklich. In die man sich wissentlich oder unwissentlich, direkt oder indirekt, hineinbegibt: Abhängigkeiten, Süchte … Darauf oder darauf kann ich nicht verzichten, ohne dies oder jenes kann ich nicht leben, sonst … Und schon bin ich unfrei! Lieber tot als – was?
Auch darüber kann man in Masada nachdenken.