Die Wortschöpfung hat der österreichische Publizist Rudolf Mitlöhner (DIE FURCHE) in die Welt gesetzt, im März 2013, sehr bald nach der Wahl des Erzbischofs von Buenos Aires zum neuen Papst: Ignatius von Assisi. »Jetzt kommt ein Jesuit und nennt sich Franziskus«, schrieb damals Daniel Deckers (FAZ). Mit der Namenswahl hat Jorge Mario Bergoglio SJ in seinem Papstnamen zwei Spiritualitäten und Traditionen miteinander verknüpft: die ignatianische und die franziskanische. Also den Sonnengesang des Poverello aus Umbrien und die Geistlichen Übungen (Exerzitien) des »Pilgers«, wie sich der ehemalige baskische Edelmann im Rückblick auf sein Leben in seiner Autobiographie nannte.
Leonardo Boff schrieb seinerzeit im Vorwort seines Buches »Franziskus aus Rom und Franz von Assisi. Ein neuer Frühling für die Kirche« (Kevelaer: Butzon & Bercker 2014) zur Namenswahl des Erzbischofs von Buenos Aires: »Das Signal, das er damit aussendet, lautet: Von nun an soll das Papstamt in ganz neuer Weise ausgeübt werden. Der Papst wird auf Titel und Symbole der Macht verzichten und versuchen, den Nachdruck auf eine Kirche zu legen, die vom Leben und Beispiel des heiligen Franziskus inspiriert ist: in Armut, in Einfachheit, in Demut, in Geschwisterlichkeit mit allen, auch mit den anderen Lebewesen und der Schwester und Mutter Erde selbst.«
Wenn das keine Prophezeiung war! Und zwar nicht nur, weil Franziskus 2015 mit seiner Umwelt- und Sozialenzyklika »Laudato si’« überraschte – Niederschlag seiner »Sorge um das gemeinsame Haus«, lange bevor Greta Thunberg die Weltbühne betrat. Als Argentinier weiß er um die Sensibilität der Amazonasregion – die Enzyklika erwähnt auch das Kongobecken, die Gletscher und Grundwasservorkommen. Wie leben wir? Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern? Wohin führt unser Konsumverhalten? Die rücksichtslose Ausbeutung von Ressourcen? Was bedeutet Generationengerechtigkeit? Entwickeln wir uns zur »Wegwerfgesellschaft«?
Die Kirche wieder aufbauen
Die Feststellungen sind zum Verwechseln ähnlich – und auf beide, Franz von Assisi und Franziskus von Rom, anwendbar: »Franziskus bildete den lebendigen Gegensatz zur imperialen Kirche. Dem Evangelium der Macht hielt er die Macht des Evangeliums entgegen, das er ganz wörtlich las und auffasste«, schrieb Leonardo Boff. Er meinte dabei den jungen Idealisten, dem eine sichere Karriere als Tuchhändler in die Wiege gelegt war. Vor dem Gekreuzigten in San Damiano hörte er eine Stimme sagen : »Franziskus, baue meine Kirche wieder auf, denn sie liegt in Trümmern.« Er tat es.
Dasselbe lässt sich vom heutigen Bischof von Rom sagen. Jorge Mario Bergoglio und der Partylöwe Giovanni Battista Bernardone, Rufname Francesco, haben auch das gemeinsam: »Vom Rand aus sprach er zum Zentrum und forderte Bekehrung. Anstatt ausdrücklich Kritik zu üben, setzte er eine Reform von unten in Gang, ohne dabei jedoch mit Rom zu brechen. Wir haben es mit einem Genie des Christentums von verführerischer Menschlichkeit, faszinierender Zärtlichkeit und Achtsamkeit zu tun, an dem wir das Beste unseres Menschseins entdecken können.«
Franz von Assisi (1181/82–1226) und Ignatius von Loyola (1491–1556) wussten zu ihrer Zeit um die Größe, aber auch um die Gefährdung der Kirche. Beide liebten die Kirche. Beide wollten sie reformieren. In Franziskus haben wir einen Papst, der in der Tradition dieser beiden großen Heiligen vor einer Herkulesaufgabe steht.
Reformen dauern, wie etwa die seit Jahren im Kardinalsrat (K9, jetzt K6) beratene, sich hinziehende Kurienreform zeigt. »Wird es Papst Franziskus in einer Kombination von franziskanischer Sensibilität und jesuitischer Gründlichkeit gelingen, die Kurie zu reformieren?« Die Antwort auf Boffs Frage steht noch aus. Ein Machtwort ist schnell gesprochen. Oft bleibt es wirkungslos. Synodale Vorgänge hingegen brauchen Zeit. Wirksame Reformen auch. Reformen in der Kirche kamen immer nur zustande durch die Hinwendung zu den Armen. Die hat der Bischof von Rom von Anfang an gezeigt. Arme und Ausgegrenzte sind ihm besonders wichtig. Die Kirche muss für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Kirche. Glaube darf nicht auf Moral reduziert werden.
Ignatius von Assisi: ein Reformer? Ein Prophet? Auf die Etiketten kommt es nicht an. Was zählt ist die Tat – und Haltungen und Einstellungen. Wer wollte Franziskus absprechen, dass er eine neue Pastoralkultur in der Kirche eingeführt hat? Die muss sich nun auch in der Organisationsstruktur niederschlagen. Die Amazonas-Synode ist eine weitere Gelegenheit dafür.