Neugierig war ich, wie »Christ & Welt« reagieren würde auf die Änderung des Kirchenrechts durch Papst Franziskus. Mit einer ganzen Seite! »Bewegt sich was?« (C&W 4/2021, Seite 4).  Eine Pro- und eine Contra-Position finden Interessierte vor: »Anlass zur Freude? Unbedingt, meint Christina Rietz. Alles nur Show, meint Raoul Löbbert.«

Abgesehen davon, dass altbekannte Jesuiten-Klischees bemüht werden: Ist alles wirklich nur »Bewegungssimulation«, was Franziskus mit dem Motu proprio »Spiritus Domini« vom 10. Januar 2021 ausgelöst hat?

»Bewegungssimulation« meint nach Löbbert, Chefkorrespondent in der Chefredaktion von C&W: »Man täuscht einen großen Schritt an. So merkt am Ende keiner, dass man stillsteht.« Und konkret heiße das dann: »Papst Franziskus ist ein Meister dieser Kunst. Bereits in der Vergangenheit verstand er es, mit Zweideutigkeiten, Fußnoten und Konjunktiven so lange Reformspielräume in seinen Lehrschreiben zu simulieren, bis – verzückt von so viel theologischer Raffinesse – die Deuter aufhörten zu fragen, wer diese Spielräume eigentlich nutzen soll, wenn nicht der Papst. In ›Spiritus Domini‹, seinem aktuellen Erlass zur Entfernung des klerikalen Kalks am Altar, erweitert der Papst nun sein Repertoire: Er erlaubt, was bislang gar nicht verboten war. Genial!«

Werden Reformspielräume simuliert?

So kann die Minimalkorrektur des Papstes im Kirchenrecht – das Weglassen eines einzigen Wortes (aus »viri laici/Männliche Laien« in Kanon 230 § 1 CIC/1983 wurde »laici/Laien«) – also auch gelesen werden. Aber das ist die einzig mögliche Deutung? Muss man dem Papst Simulation unterstellen?

Christina Rietz sieht in dem Vorgang einen kleinen, wenn auch bescheidenen Etappensieg – selbst wenn Frauen jetzt ja nur offiziell dürfen, was sie längst tun, jedenfalls im deutschen Sprachraum und dort mit Genehmigung oder Duldung von Bischöfen. Ob die Maßnahme von Franziskus Bedeutung hat für die Frage der Frauenweihe, weiß ich nicht. Rietz meint: »Vielleicht. Jedenfalls auf Zehenspitzen und in Pantoffeln, um keinen Lärm zu machen.«

Sie empfiehlt, sich »tief in die Feinheiten päpstlicher Grammatik (zu) versenken« und den an Kardinal Ladaria gerichteten Begleitbrief zu analysieren, in dem Franziskus auf das Apostolische Schreiben »Ordinatio sacerdotalis« von Johannes Paul II. zu sprechen kommt, in dem eine Weihe von Frauen definitiv ausgeschlossen wird – mit Berufung auf die Tradition der Kirche.

»Nun könnte man«, so Rietz, »einen Jesuiten, der in rhetorischen Spitzfindigkeiten geübt ist, einer grammatischen Interpretation unterziehen. Franziskus sagt nicht: ›Die Kirche ist nicht autorisiert, Frauen zu weihen.‹ Er sagt auch nicht, was klarer wäre: ›Obwohl die Kirche sich nicht autorisiert sieht, Frauen zu weihen‹, er sagt: ›Wenn sie sich nicht autorisiert sieht‹. Vielleicht ist das der Fall. Vielleicht ist das aber auch nicht der Fall. Der Satz formuliert eine Bedingung, keine Tatsache. Jedenfalls grammatisch. Vielleicht handelt es sich nur um eine päpstliche Nachlässigkeit in Bezug auf eine nachrangige Formulierung? Allerdings steht der Satz auch als Bedingung, die mit einem ›Wenn‹ eingeleitet wird, im italienischen Original.«

Die Frauenfrage wird gewiss nicht zur Schicksalsfrage der Kirche hochstilisiert. Sie ist es. Aber deswegen sollten man auch nicht jede Änderung gleich damit abtun, es gehe dabei um falsche Beruhigungen. In dem nämlichen Fall also um ein päpstliches Narkotikum, das sediert. Also ruhigstellt.

Flucht in die Quote?

Löbbert spießt auch das Herumgeeiere der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) auf, die sich beim Thema Frau in die Quote geflüchtet habe: »Sie will mehr Führungsfrauen in der kirchlichen Verwaltung und hat sich eine Quote verordnet. Das klingt progressiv und modern. Als die katholische Bischofskonferenz deshalb vor einigen Monaten per Stellenanzeige einen neuen Sekretär suchte, konnten sich wirklich alle bewerben – Männlein, Weiblein, Diverse, egal. So hoffte man abzulenken von der männlichen Monokultur in allen wirklich wichtigen Führungspositionen der katholischen Kirche. Der Trick ist als Klassiker bewährt«.

Auch wenn mittlerweile (DBK-Studie von 2019) der Frauenanteil in kirchlichen Führungspositionen in Deutschland 19 Prozent beträgt, sechs Prozent mehr als sechs Jahre zuvor, und inzwischen noch einmal gestiegen sein dürfte: Löbbert attestiert auch dem Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode »Bewegungssimulationsdeutsch«, weil der den Anstieg der Frauenquote als »nicht nichts, aber längst nicht zufriedenstellend« bezeichnet hatte.

Dazu Löbbert: »So macht man das heute in der katholischen Kirche: Man sagt nicht mehr, dass Frauen minderwertig sind oder von Gott nicht gewollt werden am Altar, sondern man zeigt sich zerknirscht und mit der Gesamtsituation unzufrieden. Anschließend gelobt man Besserung, ohne allzu konkret zu werden, und schneidet die Besserung wie luftgetrockneten Schinken in hauchdünne Scheiben. Dann kredenzt man das Ganze, als wäre es Manna.«

Unsere Debatten(un-)kultur

Unterschätzen wir vielleicht, dass es eine Kirche der unterschiedlichen Geschwindigkeiten gibt? Dass in Deutschland Probleme anders gesehen, anders analysiert und anders angegangen werden als in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten? Der klein- und krankgejammerte Synodale Weg ist, trotz aller Polemiken und dem an die Wand gemalten Gespenst, er führe in eine deutsche Nationalkirche, ist ein gut durchdachter Versuch, vier elementare Themenblöcke anzugehen – um diese dann mit Vehemenz in Rom zu vertreten. Kann irgendjemand ernsthaft bezweifeln, dass Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der DBK, oder Kardinal Reinhard Marx damit nicht wieder und wieder im Vatikan vorstellig werden? Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Und sie werden nicht locker lassen. 

Ein Problem in unserer deutschen kirchlichen Debatten(un-)kultur: Andere Positionen werden oft im Ansatz bereits lächerlich gemacht, verdächtigt, dämonisiert, karrikiert. Indem dem anderen Raffinesse oder Nebelkerzentaktik vorgeworfen wird?

Das Gespenst eines deutschen Sonderwegs, einer Nationalkirche, das manche beschwören, wird dann (und wirkt) sehr konkret. Los von Rom-Bewegungen gab es und gibt es immer wieder. Römisch-katholisch bedeutet aber nicht nur römisch, sondern katholisch: universal, global. Und hier gibt es unterschiedliche Befindlichkeiten, Mentalitäten, Zugänge – und Geschwindigkeiten. All das muss ein Papst im Blick haben. Nicht damit überhaupt nichts vorangeht. Aber damit die Einheit erhalten bleibt.

Hans Langendörfer SJ geht in seinem in »Christ in der Gegenwart« (4/2021) veröffentlichten Artikel, in dem er Bilanz zieht und auf seine zu Ende gegangene, fünfundzwanzig Jahre währende Amtszeit als Sekretär der DBK (unter den Vorsitzenden Karl Lehmann, Robert Zollitsch, Reinhard Marx und Georg Bätzing) zurückschaut, auch auf die Debattenkultur in der Bischofskonferenz ein. Sie lässt sich in etwa auch auf andere Ebenen übertragen: »Gegenwärtig werden oft fast apokalyptische Bilder vom drohenden Niedergang und einer Selbstabschaffung der Kirche an die Wand geworfen, Misstrauen und Argwohn prägen den Umgang miteinander, leider auch Bereitschaft zur Intrige. Ich habe solche Spannungen nachhaltig erlebt und neige inzwischen dazu, sie als unüberwindbar einzuschätzen.«

Langendörfer hat sich stets durch Sachlichkeit, Kompetenz und gewinnende Freundlichkeit ausgezeichnet. Dass er diesmal irrt – nämlich dass gewissen Spannungen nicht unüberwindbar seien, wünsche ich mir.

Welche Einheit? Und wie?

»Spiritus Domini« mag ja, wie der neue CiG-Chefredakteur Stephan Langer in derselben Ausgabe schreibt, da und dort eine etwas »bemühte Euphorie«, ein »verkrampftes Bejubeln« ausgelöst haben. Aber so gering ist diese Minimalkorrektur des CIC/1983 auch wieder nicht.

Ich glaube, wir unterschätzen den Papst hierzulande immer noch – auch intellektuell und theologisch. Die Frage, ob eine Chimäre Einheit beschworen wird, halte ich für legitim: »Aber was für eine Einheit ist das denn, wenn die Kirche zwar äußerlich zusammenbleibt, aber von innen her erodiert? Nämlich durch den stetigen Auszug von Frauen (und Männern), die den Ausschluss von Frauen nicht mehr hinnehmen wollen.« Beschwichtigungen, Verzögerungstaktiken, Rhetorik wird die Kirche nicht retten und weiterbringen.

Aber wir sollten uns alle gegenseitig zugestehen, dass es uns um die Kirche Jesu Christi geht und um ihre Zukunftsfähigkeit. Und dass es, trotz unserer Ungeduld, dauern wird, bis wir zu Ergebnissen kommen, die alle Seiten auf die eine oder andere Weise zufriedenstellen können. »Bewegungssimulation« hieße Stillstand. Aber es lassen sich auch nicht Ergebnisse simulieren oder mit der Brechstange herbeizwingen, die spalten oder (noch) nicht konsensfähig sind.