Beides stimmt. Ich kann beide Reaktionen nachvollziehen: »Typisch jesuitisch« also? Einerseits wirkt die Sache lächerlich, ja wie »aus der Zeit gefallen«. Andererseits war es eine Meldung – was sich mit dem Datum 10. Januar 2021 verbindet.

Denn Franziskus schafft damit Recht (wie auch in anderen Zusammenhängen, etwa beim Thema Missbrauch im Mai 2019 mit »Vos estis lux mundi«). Schon öfters hat er seit seiner Wahl im März 2013 einzelne Canones oder Normen des Kirchenrechts (CIC/1983) ergänzt oder adaptiert oder außer Kraft gesetzt. Das soll man nicht unterschätzen – ein Blick auf die Webseite des Vatikans lohnt!

Und der Papst hat zudem auch einen Brief an den Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Luis Ladaria Ferrer SJ, geschrieben, in dem er seine Initiative verortet und relativ ausführlich begründet. »Wenn der Vatikan eine Änderung des Kirchenrechts nicht einfach nur mitteilt, sondern einem größeren Leserkreis dazu ein Schreiben des Papstes an den Präfekten der Glaubenskongregation zugänglich macht, dann will er damit signalisieren: Bedeutsames geht vor sich«, schreibt Thomas Jansen in der FAZ (15. 1. 2021, Seite 4: »Im Geist des Herrn. Der Papst und die Frauen am Altar«).

»Apostolisches Schreiben in Form eines Motu proprio zur Änderung von Can. 230 § 1 des Codex des kanonischen Rechtes über den Zugang von Frauen zum Dienst des Lektors und des Akolythen (10. Januar 2021)« heißt es, in umständlichem Beamtendeutsch. Frauen dürfen damit offiziell, was sie hierzulande seit Jahrzehnten längst tun. Nicht überall unumstritten und friktionsfrei, wo sich Männerbastionen halten oder »klerikalisierte Laien« meinen, die römisch-katholische Kirche vor der »Gefahr Frau« bewahren zu müssen – mit mehr als fragwürdigen Argumenten.

Das Kirchenrecht überholt die Wirklichkeit

Kurz zuvor machte eine andere Meldung die Runde: Benedikt XVI. ist seit Januar (22. 01. 2021) länger außer Dienst als er im Amt war. Franziskus hat ihn damit überholt. Bernd Hagenkord SJ hat dazu einen instruktiven Blog-Eintrag verfasst: »Zwei Päpste voller Kontraste. Und voller Kontinuität«. Außerdem: Sowohl Franziskus wie Benedikt wurden am 14. Januar gegen Corona geimpft. Auch das war eine Meldung. Der Privatsekretär des ehemaligen Papstes lässt sich darüber hinaus immer wieder befragen, wie es dem ehemaligen Papst geht. Die Welt will »Homestories« – und bekommt sie auch.

Gudrun Sailer von »Vatican News« hat die Initiative des Papstes begrüßt: Das päpstliche Dekret »verdeutlicht, dass Laien als Laien, und nicht als verkappte Kleriker, Platz im liturgischen Dienst haben. Es setzt nachträglich ins Recht, was bisher an vielen Orten schon Praxis war, Lektorinnen nämlich und Kommunionspenderinnen, und weist zugleich der Praxis einen neuen Weg, indem es anregt, diese Dienste als lebenslange Beauftragungen zu institutionalisieren und ihnen dadurch mehr Strahlkraft zu verleihen; da hatte die Wirklichkeit an einer Ecke das Kirchenrecht überholt, und mit dem Dekret überholt nun das Kirchenrecht die Wirklichkeit.« Ein Signal in Richtung Frauendiakonat sieht sie damit nicht gegeben.

Jürgen Erbacher spricht von einem »Fortschritt für die Frauen in der katholischen Kirche«: Mehr Dienste sind jetzt möglich und von oberster Stelle, wenn auch mit jahrzehntelanger Verspätung, gleichsam legalisiert. Gleichzeitig bedauert er die Bekräftigung, dass es keine Weihe für Frauen gibt. Elisabeth Möst meint im Newsletter von BR-Religion zum »Macht-wort« des Papstes: »Auch wenn das weltkirchlich betrachtet eine kleine Revolution sein mag: Revolutionär geht anders.«

Machtworte – und ihre Grenzen

Stimmt! Aber ich bin nach wie vor überzeugt davon, auch wenn ich damit zu einer Minderheit gehöre, dass Franziskus mehr will, als er kann. Er wägt sehr realistisch ab, was geht.

Heribert Prantl beendet seinen heutigen Kommentar »Heiliger Rebell« (Süddeutsche Zeitung, 16. /17. 1. 2021, Seite 5) mit Blick auf die unterschiedlichen Charaktere von Benedikt und Franziskus mit dem Satz: »Die franziskanische Ära ist atemberaubend.« Und warum? Papst Franziskus habe etliche knifflige »Fragen nicht mit einem Machtwort beantwortet, auch weil er so klug ist zu wissen, dass Machtworte oft nur ein Zeichen von realer Ohnmacht sind, und weil das Kirchenschiff einem Ozeankreuzer gleicht, den man nicht steuern kann wie ein Ruderboot. Aber er hat die Fragen angenommen, aufgenommen, ernst genommen, lässt sie intensiv diskutieren. Er hat Wege gewiesen«.

Vielen ist das zu wenig. Und es geht ihnen zu langsam. Mir fällt dazu sofort der im August 2012 verstorbene Kardinal Carlo Maria Martini SJ ein. In seinem letzten Interview, das wenige Tage nach seinem Tod veröffentlicht wurde, sagte der ehemalige Mailänder Erzbischof und weltweit angesehene Bibelwissenschaftler: »Die Kirche ist zweihundert Jahre lang stehen geblieben. Warum bewegt sie sich nicht? (La chiesa è rimasta indietro di 200 anni. Come mai non si scuote?) Haben wir Angst? Angst statt Mut? Wo doch der Glaube das Fundament der Kirche ist. Der Glaube, das Vertrauen, der Mut.«

Ich erinnere daran: Bezeichnenderweise hat Papst Franziskus genau diese Martini-Fragen am Ende seiner Weihnachtsansprache 2019 an die Römische Kurie zitiert. Warum wohl, wie ich schon einmal fragte?