»Ich bestreite nicht, dass es sicherer gewesen wäre, noch ein Jahr mit der Reise zu warten. Andererseits brauchen wir dringend Ermutigung. Zum ersten Mal besucht ein Papst unser biblisches Land. Das ist historisch und freut nicht nur einen Geistlichen wie mich. Wir orientalischen Christen sind ja die Eingeborenen, die Natives, aber zahlenmäßig liegen wir hinter den Jesiden. (…) Sein Besuch ist eine Geste der Solidarität. Der Druck auf religiöse Minderheiten in unserem von Konflikten zerrissenen Land besteht ja fort, und die Abwanderung in die Diaspora kam im letzten Jahr nur durch Corona zum Erliegen«: Das sagt Emanuel Youkhana, Erzdiakon und Archimandrit der Assyrischen Kirche des Ostens, in einem Interview mit der ZEIT (Nr. 10 / 4. März 2021, S. 60).
Und weiter: »Wir brauchen Aufmerksamkeit, nur das bringt politische Fürsprache. Noch bevor der Papst gelandet ist, spüren wir Christen: Jetzt fällt endlich wieder Licht auf uns. Ich hoffe, dass der Westen seine Militärhilfe, etwa die Ausbildung hiesiger Streitkräfte, an Bedingungen knüpft, die uns helfen, zu überleben. Sonst stirbt das Christentum in meinem Land.« Dieses hat Youkhana, Chef der größten christlichen Hilfsorganisation im Irak, mit seiner Familie 1996 verlassen und bat in Deutschland um Aysl. Aber meistens lebt er doch in Dohuk im Nordirak, wo er 1994 einen Mordanschlag überlebte.
Ein Papst an der Peripherie
Er ist gelandet, Papst Franziskus, gestern! Bis zuletzt war unklar, ob nicht in letzter Minute irgendetwas dazwischenkommt. In den Irak wollte er schon lange reisen. Die explosive politische Lage verhinderte dies zunächst. Dann kam Corona dazu. Gefährlich bleiben die äußeren Umstände – aber der Papst wagte es trotzdem, auch wenn er dafür von manchen Gewohnheiten abrücken muss und diesmal etwa statt eines Kleinwagens aus Sicherheitsgründen eine gepanzerte Limousine benutzen muss. Eine Reise in den Südsudan, ein anderer Herzenswunsch, hat sich bisher nicht erfüllt. Mit dem Reiseziel Irak bleibt sich der Bischof von Rom, dessen Tag der Wahl sich am 13. März zum neunten Mal jährt, treu: Er geht an die Ränder, er sucht Peripherien auf, die meisten bisherigen »klassischen« Reiseziele hat er, im Unterschied zu seinen Vorgängern, ausgelassen, darunter ein Deutschlandbesuch.
Auf dem Rückflug von seiner Türkeireise sagte er am am 30. November 2014 bei der Fliegenden Pressekonferenz: »In den Irak möchte ich reisen. Ich habe mit Patriarch Sako gesprochen, habe Kardinal Filoni geschickt, und im Moment ist es nicht möglich. Nicht nur, weil ich etwa nicht wollte. Wenn ich jetzt dorthin reisen würde, dann hätten die Autoritäten ein großes Problem, ein Sicherheitsproblem … Aber ich würde es sehr gerne tun, und ich will es.« Das Programm setzt Akzente!
Am Samstagmorgen hat sich Franziskus mit Ali al-Sistani in dessen Residenz in Nadschaf zu einer privaten Unterredung getroffen. Der schiitische Großajatollah verkörpert die moralische Autorität des Irak. Überhaupt steht die Visite ganz im Zeichen des interreligiösen Dialogs – einmal abgesehen von der Tatsache, dass Christen im Irak Hoffnungs- und Solidaritätszeichen dringend brauchen, nicht nur wegen des anhaltenden. auf den IS und Christenverfolgungen zurückgehenden Massenexodus.
Der Islamwissenschaftler Felix Körner SJ meinte im Vorfeld des viertägigen Besuches: »Was der Papst jetzt macht, ist auch vorbildlich für den Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog, nämlich Problemfelder proaktiv anzugehen«. Zwei deutsche Jesuiten, Peter Balleis (Genf) und Marc-Stephan Giese (Ammann), die während der viertätigen Reise dabei sind, haben bereits kurz ihre Eindrücke geschildert: »Eine schiitische Miliz, die noch vor zwei Wochen Raketen auf Erbil geschossen hat, sicherte eine Waffenruhe während des Besuches zu. An all dem wird die Komplexität der Pilgerreise von Papst Franziskus im Stammland Abrahams und des Propheten Jona deutlich. Am Sonntag erwarten ihn die Christen in den Dörfern der Ninive Ebene mit großer Freude.«
Franziskus selber hat das Land, das mit dem biblischen Mesopotamien (Zweistromland) identifiziert wird, als »Wiege der Zivilisation« bezeichnet, die durch den gemeinsamen Stammvater Abraham Juden, Christen und Muslime miteinander verbinde.
Brückenbauer zwischen den Religionen
Vor Ort ist auch ZDF-Redaktionsleiter Jürgen Erbacher. In seinem Blog »Papstgeflüster« schreibt er: »Auch wenn hier im Irak keine Massen die Straßen säumen und es abgesehen von der Messe in Erbil am Sonntagnachmittag keine Großveranstaltung gibt, für den Irak als Land und die Christen hier bedeutet der Besuch viel. (…) Franziskus versucht sich als Brückenbauer zwischen den Religionen. Das ist ein Ziel dieser Reise in schwierigen Zeiten.«