Er ist ein Wortakrobat, Huub Oosterhuis. Manche nennen den Theologen und Poeten auch einen Propheten. Seine Gebete, Meditationen, Texte und Gedichte faszinieren und inspirieren gleichermaßen. Immer wieder oder, wer ihm erstmals begegnet, schlagartig zumeist.

Biblische Sprache und menschliche Erfahrung

Seit Jahrzehnten nämlich bringt er das Kunststück fertig, das wenigen gelingt, aber von vielen (meist erfolglos oder peinlich) imitiert wird: biblische Sprache und zeitgenössische menschliche Erfahrung zusammen zu bringen. Und damit zu überzeugen, ohne modisch gefallen zu wollen. Mittlerweile steht Oosterhuis im 88. Lebensjahr – und man mag sich gar nicht vorstellen, dass diese sprudelnde Quelle einmal versiegt!

Kein Wunder, dass die damals noch regierende niederländische Königin Beatrix im Oktober 2002 Oosterhuis bat, die Trauerrede für ihren Mann, Prinzgemahl Claus, zu halten. Es ist schon bemerkenswert: Die calvinistische Königin, seit ihrer Abdankung im April 2013 wieder Prinzessin Beatrix, bittet einen ehemaligen Jesuiten und katholischen Priester um Trostworte! Oosterhuis plauderte Jahre später aus, dass im Jahr 2010 die Weihnachtsansprache der Königin von Ministerpräsident Mark Rutte »zensiert« worden sei, weil sie darin den Rechtspopulisten Geert Wilders kritisierte.

»Den wir denken«

Der neue Band trägt im niederländischen Original den Titel »Die wij denken«: Den wir denken. In Anlehnung an das hier abgedruckte Gedicht »Hymne«: »Höchstes Wesen, Unbewegter. / Hier und heute ewig seiend, / nie gefundener Stein des Weisen. // Gott von Jeschua, Gehängter, / Gott nach Auschwitz, du verwehte / Judenasche an den Schuhen. // Aus der Ferne unerreichbar, / in Gehirne abgestiegen, / rufend: ,Licht‘ und ,Mensch, wo bist du?‘ // Du, nicht Gott, den wir uns dachten, / Totenstille, Nacht der Nächte, / Stimme schweigend, fremder Freund.«

Ja, Gott als Freund. Aber eben doch fremd bleibend, sich immer wieder auch entziehend, der ganz Andere – nicht einer, den wir uns ausdenken, von dem wir nur in Bildern sprechen können, Theologinnen und Theologen nennen das Analogie. Aber eben in kraftvollen Bildern: lebenssatt, verheißungsvoll – nicht platt, nicht trivial, nicht langweilig.

Der deutsche Titel ist identisch mit dem Titel des zweiten Gedichts: „Wartezeiten«, in dem es unter anderem heißt: »Ich bin nicht fertig, / ich lauschewarte«.

Wer sucht, wird fündig: Morgen wieder

Wenn ich sage: Die Gedichte von Oosterhuis muss man einfach mögen, ist das bereits eine Vereinnahmung. Das müssen Leser selbst entscheiden. Nicht jedes spricht gleicherweise an. Aber jedes kann auf die eine oder andere Weise bewegen – indem es so oder so inspiriert, nachdenklich macht oder auch irritiert und stört. Aufstört.

»Schöne«, glatte, gar gefällige Gebrauchslyrik ist das nicht. Sie eignet sich nicht als Kalenderspruch. Aber solche Blätter schaut man auch nur einen Tag lang an, dann reißt man sie ab. Die Gedichte von Huub Oosterhuis haben für mich kein so rasantes Verfallsdatum. Sie überdauern, und wer sie wieder und wieder liest, nachschlägt auf der Suche nach einem Wort, wird fündig. Wieder und wieder. Wie heißt es doch so schön in der letzten Strophe des letzten Gedichts »Morgen wieder« in diesem Band: »Dass wir die Worte lassen / mein Liebchen die Rosen die Rosen / die Rosen stehn auf ihren Stielen / die Rosen stehn hundert Jahre.«

Kein allmächtiger Gott einer allgemeinen Religiosität

Cornelis Kok, Mitarbeiter von Huub Oosterhuis in der »Stiftung Lehrhaus und Liturgie« hat die Gedichte übersetzt und dem neuen Gedichtband auch eine kurze »Einstimmung« mitgegeben.

Seiner Beobachtung kann man leicht zustimmen: »Die ›Gedichte über Gott und die Welt‹, die er während der letzten Jahre schrieb, zeugen nicht von einem allmächtigen Gott einer allgemeinen Religiosität. Aber von dem, dessen biblischer Name lautet: ›Ich werde dasein‹: als eine Mutter, ein Schoß des Erbarmens, gnädig, langmütig, überfließend von Liebe und Treue, als einer, der befreit aus jeder Form von Sklaverei. Huub Oosterhuis nennt ihn oft ganz kurz: ›Gott-Ich-werde‹.« Wie wohltuend doch sind solche Gedichte auch in unserer »winterlichen Zeit« der Kirche, die sich von einem Skandal zum nächsten schleppt und dabei ständig beteuert, dass sie aufklären will – um dabei wieder nur um sich selber zu kreisen!

Wenn nicht zumindest ein Mensch sagt: Hier bin ich

In »Hier bin ich«, geschrieben am Weihnachtsabend 2016, lese ich: »Fürchterlich ist die Welt / Kein Jesus wird Aleppo retten / und sein Gott / schweigt so tief in allen Sprachen, / dass es sich anfühlt, als ob er nicht existiert, / nie existiert hat, nicht kann, nicht will ‒ / was ist mit meinem Hirn, / dass ich stets wieder denke. // Es wird nie, nirgends / ein Anfang von Rettung sein, / wenn nicht zumindest ein Mensch sagt: ›Hier bin ich‹ / um sich sehend / sucht, ob es noch einen gibt, zwei oder drei / mit Funken Lichts ›Hier bin ich‘ in ihren Augen. / In tiefer Nacht – kein Stern zu sehn, / kein Engelsgesang zu hören – / werden sie gehen, um zu sehen. / was vielleicht noch möglich ist, / sich hoffen lässt, zu retten ist // ein Fluchtkind, hart an der Grenze / ein für alle Mal geboren.«

Dieser Poet und Theologe erinnert penetrant an den schweigenden Gott. Und daran, dass sein Name und sein Wesen »Hier bin ich« lautet.

(Huub Osterhuis: Wartezeiten. Neue Gedichte über Gott und die Welt. Hg. von Cornelis Kok. Patmos Verlag, Ostfildern 2021, 87 S.)