Man könnte meinen: Mit Rücksicht auf die Lage im Erzbistum Köln wurde mal ein anderes Thema lanciert: Weltkirche! Sagen wir besser: Rom, Vatikan – und der Papst macht mit. Indem er das Dokument approbiert, seine Veröffentlichung gutheißt.
»Wenn einer Gay ist und den Herrn sucht und guten Willens ist – wer bin dann ich, ihn zu verurteilen?«, hin oder her. Das liegt halt schon lange zurück: 28. Juli 2013, Pressekonferenz auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro.
(K)eine Diskriminierung von Homosexuellen?
Am Tag danach – Tag 1 nach der Veröffentlichung der Stellungnahme der Glaubenskongregation, derzufolge Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare nicht möglich sind –, sortieren sich die Reaktionen: Aus den bischöflichen Kanzleien in Regensburg und Passau Zustimmung. Es betrifft die Herren Bischöfe ja nicht. Nicht direkt. Entsetzen bei denen, die Freunde und Verwandte haben, die schwul oder lesbisch sind. Oder die es selbst sind. Und bei jenen Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Theologinnen und Theologen, die nicht nachvollziehen können, wie da argumentiert wird.
Auch Kurienkardinal Marcello Semeraro, seit Oktober 2020 Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, aber auch Sekretär des Kardinalsrates und angeblich ein Vertrauter von Papst Franziskus, verteidigte laut Radio Vatikan in einem Interview mit der Tageszeitung Corriere della Sera die Stellungnahme, die von Kurienkardinal Luís F. Ladaria SJ, dem Chef der Glaubenskongregation, unterschrieben ist.
Eine Diskriminierung von Homosexuellen sieht Semeraro darin nicht: »Die Kirche ist kein Staat, der je nach dem, was er für opportun erachtet, Gesetze erlässt, sondern ist dem Willen Gottes unterworfen«. Den kennt keiner so genau wie der Vatikan, in dem viele alte, einsame, zölibatäre Männer leben und arbeiten.
Vorsicht: Verwechslung!
Und warum gehen Segensfeiern nicht? Verwechslungsgefahr, Nachahmung, Fake! Semeraro: Die Kirche könne »kein Paar mit einem Segen legitimieren«, das nicht dem christlichen Bild der Ehe entspreche. Und er setzt gleich noch eins drauf: »Das gilt auch für heterosexuelle Lebensgemeinschaften, die nicht verheiratet sind«.
Einziger Trost bei diesen Erläuterungen: Semeraro tritt ebenso wie Papst Franziskus für eine staatliche Anerkennung und Absicherung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften ein.
Nähe, Begleitung, Aufnahme …
Es gibt Momente, in denen ich mich als Jesuit, Priester und Theologe frage, ob wir noch im Mittelalter leben. Wie belastbar ist eine Aussage wie diese: »Wir sind an die Heiligen Schriften, an das Wort Gottes gebunden«? Leider finde ich gerade nicht die Stellen in den Evangelien, an denen Jesus ausführlich über Homosexualität spricht …
Auch wenn ich in 28 Priesterjahren noch nie von einem schwulen oder lesbischen Paar gefragt wurde, ob ich ihren gemeinsamen Lebensweg, den sie in Treue, Verlässlichkeit und gegenseitiger Verantwortung gehen wollen, segnen würde: Vor den meisten Pfarrern dürften am Valentinstag schon einmal zwei Frauen oder zwei Männer gestanden haben, um gesegnet zu werden. Wer wollte da verweigern? Mit Berufung worauf?
Was bedeuten Respekt und Achtung in diesem Zusammenhang? Homosexuelle wollen nicht toleriert, nicht geduldet, nicht mit Barmherzigkeit umsorgt, sondern anerkannt werden: in ihrem Sosein! Neigung ja, (aus-)leben nein? Alles eine Sache des Willens? Des Wegbetens? Des Wegtherapierens? Der Text der Glaubenskongregation, so Kardinal Semeraro, betone »die Wichtigkeit der Nähe, Begleitung und Aufnahme«. Aha!
Das »Dubium«: ja oder nein?
Das der Glaubenskongregation (von wem auch immer) vorgelegte »Dubium« lautete: »Hat die Kirche die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen?« Die Antwort: Nein!
Die »erläuternde Note« ist zum Stein des Anstoßes geworden: »Die Erklärung der Unzulässigkeit von Segnungen der Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts ist daher weder eine ungerechte Diskriminierung noch enthält sie die Absicht, eine solche zu sein, sondern ruft die Wahrheit des liturgischen Ritus in Erinnerung und das, was dem Wesen der Sakramentalien zutiefst entspricht, so wie die Kirche sie versteht.«
Wer glaubt ernsthaft, dass zwei um einen Segen bittende Schwule oder Lesben diesen mit einem Sakrament verwechseln? Dass sie nicht wissen, worum sie bitten? Was nützt es ihnen, wenn ihnen »mit Respekt und Takt« begegnet wird, ihnen aber gleichzeitig gesagt oder stillschweigend vorgehalten wird, sie lebten in schwerer Sünde, also nicht »im Einklang mit der kirchlichen Lehre«?
Ich empfinde den nachfolgenden Passus als Affront: »Die Antwort auf das vorgelegte Dubium schließt nicht aus, dass Segnungen einzelnen Personen mit homosexueller Neigung gespendet werden, die den Willen bekunden, in Treue zu den geoffenbarten Plänen Gottes zu leben, wie sie in der kirchlichen Lehre vorgelegt werden; sie erklärt jedoch jede Segnungsform für unzulässig, die dazu neigt, ihre Verbindungen anzuerkennen. In diesem Fall würde die Segnung nämlich die Absicht zum Ausdruck bringen, nicht bestimmte Einzelpersonen dem Schutz und der Hilfe Gottes im oben genannten Sinne anzuvertrauen, sondern einen Entschluss und eine Lebenspraxis zu billigen und zu fördern, die nicht als objektiv auf die geoffenbarten Pläne Gottes hingeordnet anerkannt werden können.«
Mit einem Machtwort aus der Welt geschafft?
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing (Limburg), gibt sich Gott sei Dank nicht geschlagen. Er wird die vatikanische Stellungnahme beim Synodalen Weg diskutieren lassen, weil sie in eine hierzulande laufende offene Debatte eingreife und den Eindruck erwecke, diese abwürgen zu wollen: »Das ist aber gar nicht möglich. Denn die Diskussion wird an vielen Orten intensiv und mit guten Argumenten geführt, und die theologischen Anfragen an die heutige pastorale Praxis können nicht einfach mit einem Machtwort aus der Welt geschafft werden.«
Auch der österreichische Familienbischof Hermann Glettler (Innsbruck) sieht in dem Dokument »kein Urteil über homosexuelle Menschen, um die sich die Kirche jetzt noch mehr als bisher bemühen muss«. Eine Verurteilung Homosexueller kann aus dem Text wirklich niemand herauslesen. Stimmt.
Aber genügt es, nicht mehr zu verurteilen? Immerhin: »Gleichgeschlechtliche Beziehungen können auf Treue und gegenseitiger Hingabe gegründet sein«. Stimmt auch. Das zeigt die Erfahrung.
»Die Kirche wird ihre Prinzipien nicht aufgeben, aber sich deutlich von jeder diskriminierenden Beurteilung und Ausgrenzung von Menschen distanzieren«, hielt Bischof Glettler fest. Dazu gehöre, dass »wie bisher jede Einzelperson ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung einen kirchlichen Segen empfangen kann«. Und abschließend: »Wir möchten als Kirche allen schwulen, lesbischen und in ihrer Sexualität unsicheren Menschen ein Willkommen und eine spirituelle Heimat in der Kirche anbieten – und dies nicht erst dann, wenn sie enthaltsam leben.« Also bitte Schluss mit Wenn-dann-Argumentationen: Wenn du brav bist, sprich: enthaltsam lebst, wirst du belohnt, sprich: hast du ein Heimatrecht. Sonst …
Tiere werden gesegnet. Es gibt nicht nur die legendären »Viecherl-Messen« von Rainer Maria Schießler in München. Autos werden gesegnet. Waffen wurden (und werden?) gesegnet. Aber zwei Menschen nicht, nur weil sie gleichgeschlechtlich empfinden, so geboren, so von Gott geschaffen wurden, also kein »Schöpfungsunfall«, nicht defizitär, nicht abnorm sind – und so leben und lieben wollen? Sie können gesegnet werden, aber bitte einzeln! Hintereinander vielleicht und im Hinterzimmer. Aber nicht nebeneinander? Nicht öffentlich?
Ein Lichtblick: die Mainzer Stellungnahme
Einen Lichtblick stellt – neben den erwähnten Reaktionen von Bätzing und Glettler – die differenzierte, grundehrliche und einfühlsame Stellungnahme des Bischofs von Mainz, Peter Kohlgraf, dar.
Ihm schwant, dass jetzt viele genug haben. Endgültig. Und die Kirche verlassen. Zur vatikanischen Stellungnahme von gestern, die das Datum vom 22. Februar 2021 trägt, sagt er: »Ich nehme wahr, wie viele gläubige Menschen dadurch enttäuscht und verletzt sind, keineswegs nur unmittelbar Betroffene. Ich nehme dies sehr ernst.«
Kohlgraf erinnert an seine frühere Stellungnahme, mit der er auf ein Buch Bezug nahm, das Segensfeiern für Homosexuelle vorstellt: »Die Segensfeiern sind entstanden aus der seelsorglichen Begleitung der betroffenen Menschen. Die meisten sind weder Formulare, die der kirchlichen Trauung nachgebildet sind, noch wollen sie eine Einheitsliturgie entwickeln. Seelsorgerinnen und Seelsorger haben Menschen begleitet und über das Gute ihres Lebens den Segen gesprochen. Nein, ich plädiere nicht für eine Segensform, die einer Trauung ähnlich ist. Aber ich plädiere für eine Begleitung – anstatt zu urteilen. Und ich plädiere dafür, mit den ›nicht wenigen‹ (Katechismus!) Betroffenen zu reden – und nicht über sie – und bei ihnen zu bleiben«.
Nur zu gerne wüsste ich, was Papst Franziskus dazu sagt.