»Bilder bleiben hängen. Nicht Zahlen oder Statistiken. Sie graben sich ins Gedächtnis ein, besetzen die Herzen. Bilder von Gesichtern prägen sich ein: Es geht um konkrete Menschen bei Flüchtlingen und Migranten, nicht um abstrakte Ideen. Letztlich geht es um Menschlichkeit. Wieviel davon können, wieviel wollen wir uns ›leisten‹? Solche Fragen müssen sich Christen stellen.
Bilder bleiben hängen. Papst Franziskus könnte fragen: Wer erinnert sich noch an den Namen des syrischen Jungen kurdischer Abstammung, der am 2. September 2015 wie ein Stück Schwemmholz an die Küste von Bodrum in der Provinz Muğla im Südwesten der Türkei angespült und von einem Polizisten weggetragen wurde? Aylan Kurdi hieß das ertrunkene Kind – ein Bild, das weltweit Entsetzen auslöste und auch heftige Reaktionen in der Politik, in der Presse und in Sozialen Netzwerken auslöste: Darf man, so fragte der Münchner Medienethiker Alexander Filipović, eine ›drastische Aufnahme mit einer tieftraurigen Ästhetik‹ zeigen?«
(Aus: Andreas R. Batlogg, Der evangelische Papst. Hält Franziskus, was er verspricht? München 2018, S. 184 f.)
Der Papst spricht mit dem Vater von Alan, der überlebt hat
Am 7. März 2021 hat Papst Franziskus nach der Messe im Franso-Hariri-Stadion in Erbil zum Abschluss seiner Irakreise mit Abdullah Kurdi gesprochen. Der kurdische Syrer ist der einzige Überlebende einer jungen Familie: Im September 2015 hat er seine Frau Rehana und seine beiden Söhne Galib (5) und Alan (3) verloren – beim Versuch, über das Mittelmeer auf das europäische Festland überzusetzen. Für die junge Familie endete der Versuch tödlich. Drei Tote von Tausenden, viele ohne Namen.
Nach einem abgewiesenen Asylantrag in Kanada hatte sich die Familie Schleppern anvertraut. Das überfüllte Schlauchboot versuchte auf die Insel Kos zu gelangen. Es war für acht Personen zugelassen, transportierte aber über zwanzig Menschen und kenterte. Abdullah Kurdi hat als einziger überlebt.
Das Foto von Alans Leiche am Strand nahe dem türkischen Bodrum ging um die Welt. Ein Rettungsschiff der deutschen Hilfsorganisation Sea-Eye trägt seit 2019 seinen Namen. Die Geschichte des kleinen Alan ist zum Sinnbild für die vielen Tragödien geworden, die sich, meist ohne besondere Aufmerksamkeit, vor der Weltöffentlichkeit abspielen.
Die Tragödie veranlasste Franziskus, dessen erste Reise nach seiner Wahl im Juli 2013 auf die Insel Lampedusa geführt hatte, zu mehreren Appellen an Pfarreien, Ordensgemeinschaften und Klöster, Barmherzigkeit konkret werden zu lassen und Flüchtlingsfamilien aufzunehmen, »angefangen bei meinem Bistum Rom«.
Der weinende Engel
Als der Papst im Oktober 2017 die Welternährungsorganisation in Rom besuchte, stoppte er im Atrium der Einrichtung vor einer Marmorstatue des kleinen Alan, die er der FAO geschenkt hatte. Der Trentiner Künstler Luigi Prevedel hatte sie aus weißem Carrara-Marmor gefertigt: Sie zeigt den leblosen Körper Alans, neben ihm sitzt ein in Tränen aufgelöster Engel.
Sage noch einer: Hatte der Papst im Irak nichts Besseres zu tun?