Mit seinem Motu proprio »Traditionis custodes« (16. Juli 2021) über den Gebrauch der römischen Liturgie in der Gestalt vor der Reform von 1970 hat Papst Franziskus etwas eingeschränkt, was sein Vorgänger Benedikt XVI. (2007) ausdrücklich ermöglicht hat. Als »Wächter der Tradition (…) in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom« müssen sich Bischöfe neu orientieren, wie sie weiter mit jenen Priestern verfahren sollen, die nach dem Missale von 1962 zelebrieren wollen.

»Mich schmerzen die Missbräuche der einen und der anderen Seite bei der Feier der Liturgie in gleicher Weise«

Franziskus nimmt Bezug auf die Ankündigung seines Vorgängers, »drei Jahre nach seiner Publikation die Bischöfe zu einer Überprüfung der Anwendung des Motu Proprio Summorum Pontificum einzuladen«. Die Glaubenskongregation habe 2020, also dreizehn Jahre später, »eine umfassende Konsultation der Bischöfe durchgeführt, deren Ergebnisse im Licht der in diesen Jahren gereiften Erfahrungen sorgsam erwogen wurden«. Der Papst kam zu dem Schluss: »Nachdem ich nun die von den Bischöfen geäußerten Wünsche erwogen und die Meinung der Glaubenskongregation gehört habe, ist es meine Absicht, mit diesem Apostolischen Schreiben in der beständigen Suche nach der kirchlichen Gemeinschaft weiter fortzuschreiten. Daher habe ich es für angemessen gehalten, Folgendes zu bestimmen«.

Es folgen acht Artikel. Der erste stellt unmissverständlich klar: »Art. 1. Die von den heiligen Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. in Übereinstimmung mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgierten liturgischen Bücher sind die einzige Ausdrucksform der Lex orandi des Römischen Ritus.«

In einem Brief an die Bischöfe, der ebenfalls mit 16. Juli 2021 datiert ist, erläutert Franziskus sein Vorgehen. An dessen Ende schreibt er: »Die Anweisungen, wie in den Diözesen vorzugehen ist, werden hauptsächlich von zwei Grundsätzen geleitet: Einerseits gilt es, für das Wohl derer zu sorgen, die in der vorhergehenden Zelebrationsform verwurzelt sind und Zeit brauchen, um zum Römischen Ritus zurückzukehren, wie er von den Heiligen Paul VI. und Johannes Paul II promulgiert wurde. Andererseits ist die Errichtung von Personalpfarreien einzustellen, die mehr vom Wunsch und Willen einzelner Priester abhängen als vom Bedürfnis des ›heiligen Volkes Gottes‹. Zugleich bitte ich Euch, darüber zu wachen, dass jede Liturgie mit Würde und in Treue zu den nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil promulgierten liturgischen Büchern gefeiert wird ohne exzentrisches Gehabe, das leicht in Missbrauch abgleitet. Zu dieser Treue gegenüber den Vorschriften des Messbuches und der liturgischen Bücher, in denen sich die vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewollte Liturgiereform widerspiegelt, sollen die Seminaristen und die Neupriester erzogen werden.«

Missbräuche in der Liturgie sieht er da wie dort. Sie schmerzen ihn. Ist das jetzt eine »Ächtung der Alten Liturgie«, die ein Kardinal Joseph Ratzinger seinerzeit beklagte?

Neue Spaltungen und Verletzungen?

Große Aufregung seither. Zustimung für den Papst ebenso wie Protest. Sogar Ablehnung. Vehement. Liturgiewissenschaftler und andere Theologinnen und Theologen, Bischöfe, Kardinäle meldeten sich zu Wort. Brutal sei der Papst, sagen die einen. Konsequent sei der Papst, sagen die anderen. Fast 20.000 Unterschriften nach einer Laufzeit von zwei Tagen sammelte eine Petition eines rechtskonservativen Internetportals. Diese Initiative soll den Papst bewegen, seinen Erlass zu überdenken. Nicht Einheit werde mit »Traditionis custodes« bewirkt, sondern neue Irritationen, Spaltungen und Verletzungen unter Gläubigen.

Mit der Lehramts-Kanone auf Spatzen schießen?

Raoul Löbbert schreibt in Christ & Welt (22. Juli 2021, Seite 4: »Mit dem Latein am Ende«): »Eigentlich ist Papst Franziskus bekannt dafür, dass er heikle Fragen entscheidet, indem er nichts entscheidet, oder genauer: indem er anderen Entscheidungsspielräume ermöglicht, die diese ann nicht nutzen.« Mit »Amoris laetitia« (2016), dem bis heute kontroversiell aufgenommenen Nachsynodalen Schreiben im Nachgang der Familiensynoden sei das so gewesen.

Jetzt sei er um die »über allem« stehende Einheit besorgt: »Ist sie bedroht, ist selbst Papst Franziskus, der bei allen anderen katholischen Reizthemen – Zölibat, Frauenweihe, Segnungen für Homosexuelle – oft teilnahmslos bis ohnmächtig erscheint, in der Lage, ein Machtwort zu sprechen. Dass dieses Machtwort ausgerechnet diejenigen in die Schranken weist, die jede Liberalisierung in der katholischen Kirche ablehnen, ist aber nicht zwangsläufig Ausdruck einer liberalen Gesinnung. Wer meint, Freiheit sichern zu können, indem er sie beschneidet, bekommt schnell ein Legitimationsproblem; und das Zeichen der Stärke wird, wenn man mit der Lehramts-Kanone auf ein paar renitente Spatzen in der Alten Messe schießt, schnell zum Ausweis eigener Schwäche. Denn wer falsche Prioritäten setzt, macht kleine Gegner gerne groß.« Dem letzten Satz kann ich zustimmen.

Aber geht es da wirklich nur um ein paar liturgische Nostalgiker, die einem Ritus nachhängen, von dem sich die Kirche vor über fünfzig Jahren verabschiedet hat? Ist das Zweite Vatikanum Verhandungsmasse? Im Kern haben viele Traditionalisten und Restaurative nach wie vor Probleme mit dem, was dieses Konzil ermöglicht und auf den Weg gebracht hat. Seither gibt es zwei Welten für sie.

Franziskus schreibt in seinem Brief an die Bischöfe zur Umfrage: »Die eingegangenen Antworten haben eine Situation offenbart, die mich traurig und besorgt macht, und mich darin bestätigt, dass es notwendig ist einzugreifen. Leider wurde die pastorale Absicht meiner Vorgänger, denen es darum ging, ›alle Anstrengungen zu unternehmen, um all denen das Verbleiben in der Einheit oder das neue Finden zu ihr zu ermöglichen, die wirklich Sehnsucht nach Einheit tragen‹, oft schwer missachtet. Eine von Johannes Paul II. und mit noch weiterem Großmut von Benedikt XVI. gewährte Möglichkeit, um die Einheit der Kirche unter Achtung der verschiedenen liturgischen Sensibilitäten wiederherzustellen, ist dazu verwendet worden, die Abstände zu vergrößern, die Unterschiede zu verhärten, Gegensätze aufzubauen, welche die Kirche verletzen und sie in ihrem Weg hemmen, indem sie sie der Gefahr der Spaltung aussetzen.« Kann er das einfach ignorieren? Oder großzügig darüber hinwegsehen?

Löbbert meint, der Papst müsse sich um Wichtigeres wie die (nicht zuletzt durch die Missbrauchskrise beschleunigte) Erosion des Glaubens kümmern, die mit einer Glaubwürdigkeitskrise einhergeht: »Hier wäre die reformatorische Tatkraft Papst Franziskus‘ eigentlich gefordert, nicht dort, wo er durch Härte im Amt nur die darin bestärken und weiter ins Schisma treiben dürfte, die ihn eh schon immer für einen Häretiker gehalten haben und sich durch ›Traditionis custodes‹ nun bestätigt sehen.«

Treue zum Lehramt: keine Fragen stellen? Eine Reaktion von Bischof Peter Kohlgraf

Das Schreiben von Papst Franziskus hat mit Kollegialität und Dezentralisierung zu tun. »Rom« muss nicht alles regeln, was vor Ort geregelt, angeschaut und bestimmt werden kann. Aber das alles in Übereinstimmung mit dem, was der Papst vorgibt.

Eine interessante Lesart des Motu proprios kommt aus Mainz. Bischof Peter Kohlgraf schreibt auf seiner facebook-Seite (22. Juli 2921, 15:35 Uhr): »Im Bistum Mainz gibt es einige Orte, an denen der sog. Außerordentliche Ritus gefeiert wird. An einigen Stellen ohne Probleme. Der Papst hat ihn nicht verboten. Es gibt jedoch manchmal den Eindruck, dass die Gläubigen, die diesen Ritus wollen, die ordentliche Form im Grunde für weniger wert halten, und damit auch das II. Vatikanum geringschätzen. Das kann nicht der Weg sein, und diese Sorge von Papst Franziskus teile ich. Wir werden auch im Priesterrat in Ruhe über den weiteren Weg sprechen. Ich kann nicht meine Beobachtungen verschweigen, dass jetzt diejenigen laut werden, die auch von mir sonst unbedingte Papsttreue fordern. Das bin ich allerdings, und genau wie in dieser Frage darf man seine Sorgen und Anmerkungen äußern. Treue zum Lehramt heißt wohl nicht, keine Fragen stellen zu dürfen. Auch als Bischof. Papsttreue kann jedoch am Ende nicht bedeuten, nur dann auf ihn zu hören, wenn er mich bestätigt. Diese Tendenz ist auf allen Seiten wahrnehmbar. Sollte ich mich irgendwann noch einmal fragend zu Wort melden, bitte ich von bestimmten Seiten um Mäßigung und werde an dieses jetzt aufkochende Thema gerne erinnern.«