Es gibt auch Mitbrüder im Jesuitenorden, trotz Klaus Mertes SJ (oder wegen ihm), die sagen: Hört das denn nie auf? Wann zieht der Sturm vorüber? Muss man ständig über Missbrauch reden? Gibt es nichts Wichtigeres?

Da beginne ich an der Vernunft zu zweifeln. Und zu verzweifeln. Immer wieder. Was tun wir, was tue ich, Betroffenen an, wenn ihr Leid archiviert, klein- oder weggeredet wird, bewusst oder unbewusst, im seichten Alltags- oder Tischgespräch? Wenn vielleicht noch intellektuell über »Seelenmord« oder »Gottesvergiftung« räsoniert wird, aber eben doch mit der (unausgesprochenen) Erwartung, wir könnten endlich wieder zur theologischen Tagesordnung übergehen: Es gehe doch um Gott! Um die Verkündigung des Evangeliums!

Stimmt. Aber das Eine geht nicht (mehr) ohne das Andere.  Die Bedingungen dafür, von Gott zu sprechen, haben sich geändert. Deswegen fordern ja etliche Protagonisten: Es braucht eine Theologie des Missbrauchs.

Der Synodale Weg ist ein Forum, in dem daran gearbeitet wird. Gestern begann die zweite Synodenversammlung in Frankfurt. Hitzige Debatten, heißt es, seien zu erwarten. Gräben müssen überwunden werden.

»Dass die Begründung nicht verloren geht«

Ein überzeugendes Plädoyer für den vielgeschmähten Synodalen Weg« hat ein Sprecher des Betroffenenbeirats der Bischofskonferenz, der Schauspieler Kai-Christian Moritz, als Kind Opfer eines Priesters, abgelegt, im SZ-Interview mit Annette Zoch (30.  September 2021): »Ich glaube schon, dass man aufpassen muss, dass die Begründung für den Synodalen Weg nicht verloren geht. Diese ist der Missbrauch. Aber im Missbrauch hat sich ja das grundsätzliche Problem manifestiert: das Thema Macht. Macht im Kontext der Kirche bedeutet nicht nur Missbrauch, geistlicher Missbrauch, sexueller Missbrauch, sondern zum Beispiel auch die mehr als fragwürdige Zementierung patriarchaler Macht gegenüber Frauen. Diese Themen werden im Synodalen Weg auf unterschiedlichste Weise ausbuchstabiert.«

Es geht nicht um eine andere Kirche. Aber darum, dass Kirche anders wird. Wer zu schnell mit der Lehramtskeule kommt oder von unveränderlicher Lehre spricht, soll sich von Moritz gesagt sein lassen: »Wenn die Kirche so etwas Heiliges und Unverrückbares ist, dann muss ich doch vor solchen Diskussionen überhaupt keine Angst haben. Der Markenkern, wenn er was taugt – und daran glaube ich fest – der kann doch dann nicht zerstört werden.«

Wie geht Versöhnung? Wie Heilung?

Wie Versöhnung möglich ist und wird, wie Heilung, wenn überhaupt – diese Frage stellen sich Betroffene und ihre Angehörigen vermutlich täglich. Und die Anderen? Wir? Ich? Bischöfe? Der Papst? »Dieser Impetus«, so Moritz, »kommt in der Kirche schnell: So, jetzt machen wir mal Versöhnung. Das steht dieser Seite aber überhaupt nicht an. Versöhnung bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Und Versöhnung kann geschenkt, aber nicht von Täterseite verlangt werden.«

Der Synodale Weg kann (und will) die Weltkirche nicht umkrempeln. Und unsere deutschen Themen sind nicht zwangsläufig die Themen der Weltkirche. Aber er ist und bleibt, allen Unkenrufen zum Trotz, der ehrliche Versuch, schrecklichen Tatsachen ins Auge zu blicken und daraus, mindestens hierzulande, Konsequenzen zu ziehen.

Solche, die überzeugen. Es braucht keine Alibi-Aktionen: »Sicherlich kann man über die Wirkmacht Bedenken äußern. Aber wenn niemand mal anfängt, öffentlich über diese Fragen nachzudenken, dann ändert sich doch nie etwas. Wenn die Kirche nicht irgendwann zu einem irrelevanten Sektenphänomen werden will, dann muss sie diese Fragen beantworten.«