Natürlich ist es immer wieder von öffentlichem Interesse, wie sich Ministerinnen und Minister und erst Recht ein neuer Bundeskanzler verhalten, wenn sie ihren Amtseid ablegen. Mit oder ohne Abschlussformel? So geschehen kürzlich im deutschen Bundestag. Umgehend wurde registriert: Olaf Scholz, der aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist, sich aber selbst als »säkularer Christ« bezeichnet, hat, ebenso wie drei neue Ministerinnen und vier Minister, auf den Zusatz »so wahr mir Gott helfe« verzichtet.
Religion ist Privatsache – aber nie privat
Ohne offizielle Kirchenbindung sind neben Scholz auch Christian Lindner, Robert Habeck, Karl Lauterbach, Svenja Schulze, Anne Spiegel und Steffi Lemke. Cem Özedmir bezeichnet sich als »säkularer Muslim«.
Sind sie deswegen »gottlos«? Machen sie es sich zu einfach, wenn sie ihr Recht in Anspruch nehmen, dass „Religion Privatsache“ sei? Haben wir jetzt ein »Kabinett der Konfessionslosen«? Ich wage kein Urteil. Nicht aus Feigheit. Sondern weil es mir widerstrebt, über die religiöse Einstellung anderer zu befinden oder gar zu richten.
Religiöse und moralische Überheblichkeit
Mich ärgern jedoch jene Stimmen, die sich moralisch oder religiös über andere erheben. Das ist oft Heuchelei! »Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?«: Diese Frage aus Goethes »Faust« ist die eigentlich interessante. Wer sich empört, wer auf Entrüstungsrhetorik schaltet, sollte sich fragen, wie er/sie selbst zu Inhalten des Glaubens steht. Scholz und Lindner, um die zwei prominentesten Beispiele herauszugreifen, sind christlich geprägt. Sie sind aus verschiedenen Gründen aus der Kirche ausgetreten, Linder schon mit 18. Der Katholik Karl Lauterbach hat seiner Kirche aus Ärger über die schleppende Aufarbeitung des Missbrauchs verlassen und das öffentlich gemacht. Spätere Rückkehr nicht ausgeschlossen, sagte er. Damals. Überzeugen muss ihn die Kirche.
So schön es ist, wenn Politiker oder Prominente daraus kein Geheimnis machen und ihre christliche Prägung bekennen und öffentlich machen: Die Welt geht nicht unter, wenn dieser religiöse Zusatz fehlt. Spitzenpolitiker wissen, was Respekt gegenüber Gläubigen bedeutet. Sie wissen, was die Kirchen leisten zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. CDU/CSU-Wähler sind nicht unbedingt die besseren Christen. Der vielbeschworene »Untergang des christlichen Abendlandes«, das ohnehin eine Chimäre ist, ist also nicht zu befürchten.
Bundespräsident Roman Herzog, von Haus aus Verfassungsrechtler, bemerkte einmal: »Dass es gerade ein weltanschaulich neutraler Staat, der sich der Gläubigkeit seiner wichtigsten Amtsträger bedient, um diese sich weit über die Rechts- und Verfassungsbindung hinaus binden zu lassen, entbehrt nicht jeder Pikanterie.« Wir leben nicht in einem Gottesstaat. Wer sich religiös »neutral« oder abstinent verhält, hat seine, hat ihre Gründe. Auch die gilt es zu respektieren.
Was ist, was taugt ein religiöses Bekenntnis im Alltag?
Ich kann mich fragen: Warum fixiere ich mich derart auf den Wortlaut? Wer Sonntag für Sonntag im Credo sein Bekenntnis an die »heilige katholische Kirche« ablegt, tut dies angesichts des Zustands der Kirche oft mit Bauchweh oder sagt es so dahin … Und wir machen auch keine Luftsprünge über jede päpstliche Äußerung oder jedes Dokument aus dem Vatikan.
Auch hier gilt, wie so oft: Wir erforschen oft lieber das Gewissen der anderen als das eigene. Kann ich denn wirklich und wirksam daran glauben, dass Gott mir hilft, beisteht – im Alltag? Ganz konkret? In bestimmten Entscheidungssituationen? Oder ist »so wahr mir Gott helfe« auch nur eine Formel unter vielen, die »man« halt da oder dort gebraucht?
Gott zählt! Zählt Gott?
Dahinter steht die Frage: Was ist ein religiöses Bekenntnis? Und wie drücke ich es aus? Gottesdienstbesucher können mehr als eine Partei wählen. Die Zeiten sind, Gott sei Dank, vorbei, als man meinte, nur eine komme für Katholiken in Frage. Aber wir haben alle auch dafür optiert: Es kommt auf Gott an! Er zählt! Mit oder ohne Amtseid.
Wie stark eine Gesellschaft christlich bzw. religiös geprägt ist und wie wirksam, hängt vom Zeugnis derer ab, die es öffentlich machen. »Die Anderen« sind deswegen nicht weniger anständig! Apropos: Olaf Scholz und Cem Özdemir sind mir ganz sympathisch!