Da irrte Franziskus, seinerzeit, im März 2015, im Gespräch mit einer mexikanischen Vatikanberichterstatterin: »Ich habe das Gefühl, mein Pontifikat wird von kurzer Dauer sein. Vier oder fünf Jahre. Ich weiß nicht, oder zwei oder drei. Na ja, zwei sind schon vorbei. Das ist so ein vages Gefühl.«
Mit 77 gewählt, als erster lateinamerikanischer Papst, als erster Jesuit in der Kirchengeschichte, vollendete er vor vier Monaten sein 85. Lebensjahr. Eine kurzfristig anberaumte Darm-OP im Sommer 2021 machte Redaktionen nervös, die ihre Textbausteine für einen Papst-Nachruf aktualisieren mussten. Dass ihn selbst einige Prälaten der Kirche lieber tot als lebendig sähen, plauderte der Papst gesprächsweise aus, im September 2021, in der Apostolischen Nuntiatur in Bratislava (Slowakei), als er mit Jesuiten zusammentraf.
Was bleibt vom »Turbo-Papst«: ein »Obama in Soutane«?
Dass er immer noch aneckt, überrascht, irritiert – mit ungewöhnlichen Aktionen, mit saloppen Sprüchen, mit eigenwilligen Reisezielen, mit gepfefferten Predigten und Ansprachen, ist für mich der lebendige Beweis dafür, dass er sich vom »Hofzeremoniell« und vom Protokoll nicht kleinkriegen oder einfangen lässt. Berechenbar ist er gerade nicht (geworden). Das ist gut so. Franziskus enttäuscht auch immer wieder. Weil er bestimmte Erwartungen nicht erfüllt. Etwa auf der Amazonien-Synode. Oder zuletzt: Sein »Schweigen« zum Krieg in der Ukraine.
»Turbo-Papst« wurde er einmal genannt: Weil er Kardinäle, Bischöfe und Kurienbeamte auf Trab hält. Rastlos, wie es scheint. Weil er vor Ideen nur so sprühte. Vielleicht auch, weil er wusste, dass er nicht viel Zeit hat. Als die erste Begeisterung abflaute, wurde er aber auch mit dem ersten farbrigen US-Präsidenten verglichen, der bereits im ersten Amtsjahr – wofür, wie manche fragten – mit dem Friedensnobelpreis (2009) ausgezeichnet wurde: Franziskus sei ein »Obama in Soutane«, also letztlich eine tragische Gestalt. Das Image, dass es sich nur um einen Stilwechsel handelt bei dem, was wir sehen, wurde er nicht los.
Projektionsfläche Papst
Ein »Wunderwuzzi« ist kein Papst. Aber eine riesige Projektionsfläche für Erwartungen aller Art. Diesbezüglich konnte der erste Argentinier und der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri nur enttäuschen. Früher oder später.
Ob er mehr verspricht, als er halten kann? Ob seine Ordenssozialisation eine Hilfe ist beim Führen und Leiten: »Unterscheidung der Geister« etwa, gemeinschaftliche Beratung (Synodalität)? Seit 1958 Jesuit, ist Jorge Mario Bergoglio in seinem Herzen immer Ordensmann geblieben. Kathpress-Korrespondent Roland Juchem nennt ihn einen »Verächter der Verwaltung« und »Meister der Erlasse«. Ja, es gibt nicht nur den lächelnden, den aufmerksamen, den barmherzigen Franziskus. Man hat ihn auch zornig gesehen, autoritär erlebt.
Mit dem wenige Tage nach seiner Wahl installierten internationalen Kardinalsrat, zu dem auch der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, gehört, hat er sich in der Kurie keine Freunde gemacht: ein Schattenkabinett, hieß es. Doch die Kurienreform lässt weiter auf sich warten.
Was liegt auf der Soll-, was auf der Haben-Seite? Hat ein Papst eine To-do-Liste abzuarbeiten? Ach, Nachrufe wurden ja schon geschrieben, verfrüht. Und abgeschrieben wurde er schon längst von denen, die keine Geduld mehr haben wollen oder können.
Arme, Ausgegrenzte, Flüchtlinge und Migranten finden sein besonderes Interesse. Mit der auf Lampedusa (Juli 2013) beklagten »Globalisierung der Gleichgültigkeit« will er sich nicht abfinden. Europäern hält er diesbezüglich einen Spiegel vor: auf Lampedusa, auf Lesbos oder in Straßburg.
Kein »theologisches Leichtgewicht«
Zwischen April und Dezember 2022 erreichen weitere neun Kardinäle die Altersgrenze von 80, mit der sie das Papstwahlrecht verlieren. Mit neuen Kardinälen ist im laufenden Kalenderjahr zu rechnen. Ob Franziskus die Weltbischofssynode im Oktober 2023 erlebt – in welche die Erfahrungen eines zweijährigen weltweiten synodalen Prozesses münden sollen? Ich hoffe es.
Ich halte es mit Kardinal Walter Kasper, der immer wieder davor warnt, Franziskus für ein »theologisches Leichtgewicht« zu halten. Kein päpstliches Dokument hat seit »Humane Vitae« (1968) mehr Staub aufgewirbelt als »Amoris Laetitia« (2016). Trotzdem hörte das Schwarz-Weiß-Denken in Kirche und Theologie nicht auf. Der Bischof von Rom geriet sogar unter Häresieverdacht – bei besorgten Kardinälen und Bischöfen, wohlgemerkt, weniger bei Gläubigen. Bei denen, die sich päpstlicher als der Papst geben und dabei auf die Lehre Jesu Christi berufen.
Franziskus wird noch die eine oder andere Überraschung bieten. Hoffentlich.