Es ist ja schon eine Meldung, wenn der Papst nicht mehr im Rollstuhl sitzt … Dem Gottesdienst am 29. Juni (Hochfest Peter und Paul) stand der Dekan des Kardinalskollegiums, Giovanni Battista Re (88) vor, Franziskus wohnte der Messe bei.
Seine Predigt hatte es in sich. Er kam auf Widerstände gegen Reformen in der Kirche und auf Klerikalismus – von oben wie von unten: von Klerikern wie von klerikalisierten Laien, die päpstlicher als der Papst sein wollen – zu sprechen. Wer Franziskus schon im Grab sieht oder meint, er würde zurücktreten, erlebte einen hell wachen, auch ein wenig scharfen Papst.
Viele Widerstände
»Wir erleben immer noch eine Menge innerer Widerstände, die es uns nicht erlauben, in Bewegung zu kommen, viele Widerstände. Manchmal überkommt uns als Kirche die Faulheit, und wir ziehen es vor, uns auf die wenigen sicheren Dinge, die wir besitzen, zu besinnen, anstatt aufzustehen und den Blick auf neue Horizonte, auf das weite Meer zu richten. Wir sind oft wie Petrus im Gefängnis der Gewohnheit gefangen, haben Angst vor Veränderungen und sind an die Kette unserer Angewohnheiten gebunden. Auf diese Weise rutscht man jedoch in die geistliche Mittelmäßigkeit ab, man läuft Gefahr, auch in der Pastoral ›auf der Stelle zu treten‹, der Enthusiasmus für die Mission lässt nach, und anstatt ein Zeichen von Vitalität und Kreativität zu sein, erweckt man schließlich den Eindruck von Lauheit und Trägheit. So wird der große Strom der Neuheit und des Lebens, der das Evangelium ist – schrieb Pater de Lubac – in unseren Händen zu einem Glauben, der ›in Formalismus und Gewohnheit verfällt, […] eine Religion der Zeremonien und Andachtsübungen, der Verzierungen und banalen Tröstungen […]. Klerikales Christentum, formalistisches Christentum, erstarrtes, erloschenes Christentum‹ (vgl. Über Gott hinaus. Die Tragödie des atheistischen Humanismus. Einsiedeln 1984).«
Eine Kirche, die aufsteht
»Die gegenwärtige Synode ruft uns dazu auf, eine Kirche zu werden, die aufsteht, die nicht auf sich selbst bezogen ist, die fähig ist, ihren Blick über sich hinaus zu richten, die aus ihren eigenen Gefängnissen herauskommt, um auf die Welt zuzugehen, mutig, die Tore zu öffnen. (…) Öffnen wir die Tore. Es ist der Herr, der ruft.« (…)
»Eine Kirche ohne Ketten und ohne Mauern, in der sich jeder willkommen und begleitet fühlen kann, in der die Kunst des Zuhörens, des Dialogs und der Teilnahme gepflegt wird, unter der alleinigen Autorität des Heiligen Geistes. Eine Kirche, die frei und demütig ist, die ›schnell aufsteht‹, die nicht zögert, die die Herausforderungen von heute nicht aufschiebt, die nicht in den heiligen Hallen verweilt, sondern sich von der Leidenschaft für die Verkündigung des Evangeliums und dem Wunsch beseelen lässt, alle zu erreichen und alle anzunehmen. Vergessen wir dieses Wort nicht: alle. Alle! Geht auf die Wegkreuzungen und bringt alle herbei, die Blinden, Tauben, Lahmen, Kranken, Gerechten und Sünder: alle, alle!«
Kirche im synodalen Prozess: keine Christen erster oder zweiter Klasse
(…) »Und hier kommen mir zwei Fragen in den Sinn. Die erste lautet: Was kann ich für die Kirche tun? Nicht über die Kirche klagen, sondern sich für die Kirche einsetzen. Sich mit Leidenschaft und Demut beteiligen: mit Leidenschaft, weil wir nicht passive Zuschauer bleiben dürfen; mit Demut, weil ein Engagement in der Gemeinschaft niemals bedeuten darf, sich in den Mittelpunkt zu stellen, sich für etwas Besseres zu halten und andere daran zu hindern, dazuzukommen. Kirche im synodalen Prozess bedeutet: Alle nehmen teil, keiner anstelle der anderen oder über den anderen. Es gibt keine Christen erster oder zweiter Klasse, alle, alle sind gerufen.«
Die Perversion des Klerikalismus: sich auf sterile Diskussionen fixieren
»Und so lautet die zweite Frage: Was können wir als Kirche gemeinsam tun, um die Welt, in der wir leben, menschlicher, gerechter, solidarischer, offener für Gott und für die Geschwisterlichkeit unter den Menschen zu machen? Wir dürfen uns ganz bestimmt nicht in unseren kirchlichen Kreisen verschließen und uns auf bestimmte sterile Diskussionen fixieren. Gebt Acht, nicht dem Klerikalismus zu verfallen, der Klerikalismus ist eine Perversion. Der geweihte Amtsträger, der sich mit einer klerikalen Haltung klerikalisiert, hat einen falschen Weg eingeschlagen; schlimmer noch sind die klerikalisierten Laien. Hüten wir uns vor dieser Perversion des Klerikalismus. Helfen wir einander dabei, Sauerteig in der Welt zu sein. Gemeinsam können und müssen wir Gesten der Sorge für das menschliche Leben, für die Bewahrung der Schöpfung, für die Würde der Arbeit, für die Probleme der Familien, für die Lebensbedingungen der Alten und der Verlassenen, der Abgelehnten und Verachteten setzen.
Kurz gesagt, wir können und müssen eine Kirche sein, die sich für eine Kultur der Fürsorge, der Liebkosung einsetzt, die Mitgefühl für die Schwachen weckt und gegen alle Verfallserscheinungen kämpft, auch in unseren Städten und an den Orten, an denen wir uns aufhalten, damit die Freude des Evangeliums im Leben eines jeden Menschen aufleuchtet: Das ist unser ›Kampf‹, dies ist die Herausforderung. Es gibt viele Versuchungen, um zurückzubleiben; die Versuchung der Nostalgie, die uns auf frühere Zeiten als bessere blicken lässt, bitte verfallen wir nicht der Rückwärtsgewandtheit, dieser kirchlichen Rückwärtsgewandtheit, die heute in Mode ist.«