Die lange erwartete Entschuldigung – das ist keine Überraschung – fiel. Am zweiten Tag. Und niemand wird dem Papst absprechen, dass seine Worte ernst gemeint waren. Seine Reise nach Kanada ist keine Spazierfahrt, sondern, eigenen Worten zufolge, ein Bußgang. Erzwungene Assimilation, sexuelle Belästigung, sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt standen jahrzehntelang auf der Tagesordnung der Residential Schools. Zehntausende Kinder starben. Aufgefundene anonyme Gräber sind zu stummen, anklagenden Zeugen geworden.
Wer die Demütigungen und die Gewalt überlebt hat, blieb lebenslang traumatisiert. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte Kanadas: für den Staat ebenso wie für die Kirche.
Worte, nichts als Worte?
Für die einen ist die überfällige päpstliche Entschuldigung auf kanadischem Boden ein Trost und ein starkes Zeichen. Andere Betroffene sagten unverblümt: Mir bedeutet dieser Papstbesuch nichts! Worte, nichts als Worte . . . Den Worten müssen Taten folgen.
Das Foto vom päpstlichen Handkuss für die Indigenen-Vertreterin Alma Desjarlais von der Frog Lake First Nation in Edmonton, Alberta, ging um die Welt. Auch der Handschlag mit Vicki Arcand, einer ehemaligen Residential-School-Schülerin, von der Alexander First Nation.
Entschuldigungen, selbst vom Papst, und starke Zeichen sind das eine. Entschädigungen, die Anerkennung für erlittenes Unrecht, das andere. Den Worten müssen Taten folgen. »Die Kirche kniet nieder und bittet um Vergebung«: Aufarbeitung dauert. So lange, bis Überlebende verstorben sind? Missbrauch schreibt sich in Familiengeschichten ein. Licht in die Dunkelheit zu bringen beschämt die Täterseite und quält die Betroffenen. Erinnerungen kommen hoch.
»No to apology« (Nein zu einer Entschuldigung) stand auf einem Plakat am Straßenrand. Ob es Franziskus gesehen hat? Dass viele es leid sind, nur Worte zu hören, dass viele nicht mehr so recht glauben wollen oder können, dass Entschädigungen erfolgen, nach oft jahrelangen, schmerzhaften Untersuchungen, kann ich verstehen.
Entschuldigungen – Versöhnung – Heilung: Wie geht das?
Der Papst will zuhören. Er hat sich nie davor gedrückt, auf Betroffene zuzugehen und ihre Geschichten zu hören. Das Entsetzen steht ihm oft ins Gesicht geschrieben. Der Bischof von Rom repräsentiert die römisch-katholische Kirche, in der solche Verbrechen, jahrzehntelang, möglich waren, systemisch begünstigt wurden. Statt Heil Unheil. Statt Himmel Hölle. Neue Verletzungen löst aus, wer einen »Schlussstrich« ziehen wollen, weil sie das Thema »satt« haben, seiner überdrüssig sind. Kommt denn nie ein Ende? Mich empört diese Einstellung, vor allem unter Mitbrüdern. Besonders ihre Gleichgültigkeit.
Als Kirche kommen wir nicht umhin zu fragen: Was heißt Versöhnung? Was heißt Heilung? Wie geht das? Wie gelingt das?
Ungeschehen gemacht wird mit Worten nichts. Aber wenn wir aufhören zu glauben, dass Heilung und Versöhnung möglich ist, hören wir auf zu glauben. Daran zu glauben, dass der Blick auf Jesus und seinen Umgang mit geschundenen, kranken, gepeinigten, stigmatisierten Menschen zu einer Lebenswende führen kann. Trotz erlittenem Leid.
Ich gebe diesen Glauben nicht auf.