Am vergangenen Samstag (22. Juli 2023) waren wir in der Jesuitenkirche St. Michael Gastgeber für den feierlichen Dankgottesdienst zum 90. Geburtstag von Herzog Franz von Bayern. »Seine Königliche Hoheit« wäre – König, gäbe es noch die Monarchie. Bei der Eröffnung des Gottesdienstes – gespielt wurde auf ausdrücklichen Wunsch S.K.H. vor dem Hintergrund des Überfallskrieges in der Ukraine die Paukenmesse von Haydn (»Missa in tempore belli«) – begrüsste Kardinal Reinhard Marx, der Erzbischof von München und Freising, ganz selbstverständlich auch den Lebensgefährten des Herzogs, Thomas Greinwald. Es war ein erhebender Gottesdienst: Musik, Predigt und eine volle Kirche mit geladenen Gästen unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Der Ministerpräsident und die Landtagspräsidentin waren da, ehemalige Ministerpräsidenten, Staatsminister, Charlotte Knobloch – und im Hochchor das Haus Wittelsbach: Brüder und Schwestern, deren Kinder und andere Verwandte.
»Zuschauer in der ersten Reihe«
Seine »Erinnerungen« (Untertitel) habe ich im April in zwei Tagen gelesen: »Zuschauer in der ersten Reihe«. Ach, was heißt: gelesen. Verschlungen habe ich sie! Aufmerksame Leserinnen und Leser könnten meinen: Der Herzog spricht zu mir! Neugierige waren und sind vor allem an den Seiten 245 bis 251 interessiert, und in vielen Rezensionen war das auch ein herausragender Punkt: »Privatheit«.
»Vor nun über 40 Jahren«, schreibt Herzog Franz, »lernte ich meinen Lebenspartner Thomas Greinwald kennen. Er ist vielseitig interessiert und engagiert; nach dem Abschluss seines Jurastudiums machte er noch eine Ausbildung zum Heilpraktiker und praktiziert hier in München. Eine solch stabile Lebensgemeinschaft, und er man sich so gut kennt und durch viele gemeinsame Interessen verbunden ist, ist ein Geschenk und ein gutes Gegengewicht. Gerade in meiner Situation ist es wichtig, jemanden zu haben, der mir auch unter Umständen unbequeme Wahrheiten sagt.«
Und weiter: »Auch nach 42 Jahren können wir immer noch über die gleichen Dinge lachen; ein gemeinsamer Sinn für Humor ist eine wichtige Basis einer guten Partnerschaft. Thomas rasche Intelligenz, sein Charme und sein schneller Witz entspannen viele Alltagssituationen.« (S. 246) Was für ein berührendes Liebesbekenntnis!
Oft mit Demütigungen verbunden . . .
Aber natürlich war das mit der Akzeptanz nicht immer so: »Wir kamen aus zwei ganz verschiedenen Welten, und die Erwartungen, die an mich gestellt wurden, bedeuteten, dass von Thomas häufig Verzicht und Rücksichtnahme gefordert waren – von seiner Seite viel mehr als von meiner. Vor allem in früheren Jahren war dies für ihn oft mit Demütigungen verbunden, wenn er nicht angemessen als mein Partner behandelt wurde. Ohne die Bereitschaft seinerseits, damit zurechtzukommen, wäre mein Leben und die Erfüllung meiner Verpflichtung so nicht möglich gewesen.« (S. 246 f.)
Wenn das nur alle, die hinter vorgehaltener Hand doch noch tuscheln, zur Kenntnis nähmen. Wohlgemerkt: Es war ein Dankgottesdienst, keine Segensfeier. 90 Jahre Herzog Franz – wer seinen Charme, seine Diskretion, seine Großzügigkeit, seine Bildung und seinen Humor kennt, gönnt es ihm, dass er sich nicht (mehr) »verstecken« muss.
Alltägliche Diskriminierung – und die Kirche(n)
Kinder erfahren es bereits und Jugendliche: »Du schwule Sau« ist eine Totschlag-Vokabel, die Wirkung zeigt: im Kindergarten, in der Schule, am Arbeitsplatz. Wer so spricht, weiß, was er oder sie auslöst. Wenn nicht, dann seine oder ihre Eltern. Und immer noch: Wenn es ein Herzog ist oder eine Adelige, ein Fußballstar oder ein Außenminister oder ein Bürgermeister – dann geben sich viele »tolerant«. Eine Schlagzeile der letzten Wochen lautete: »Coming-Out mit 89« – das braucht es offenbar immer noch!
Wenn’s der eigene Sohn, die eigene Tochter ist, die sich outet, wird es schon schwieriger. Der Alltag hält viele Diskriminierungen und Demütigungen bereit. Kinder und Jugendliche müssen lernen, dass es das gibt: Männer lieben Männer und Frauen lieben Frauen. Und wollen auch so leben und nicht nur in ihrem »Sosein« irgendwie »toleriert« oder »geduldet« werden. Kinder und Jugendliche können das lernen, katholische Fundamentalisten, die sich auf eine »Schöpfungsordnung« berufen, wohl eher nicht. Männer, die Männer lieben und mit Männern leben, Frauen, die Frauen lieben und mit Frauen leben, sind ihnen, gelinde gesagt, oft peinlich.
Wie oft höre ich im Beichtstuhl – in Sankt Michael stehen fünf Mal pro Woche zwei Patres bereit: »Alles soweit in Ordnung bei mir. Aber leider bin ich schwul. Ich weiß, Gott will das nicht.« Leider habe ich auch nach 38 Ordensjahren noch keine Privatoffenbarungen empfangen. Gott will das nicht? Die Kirche will das oft nicht oder steht mit ihrer Lehre im Weg. Ist es nicht Sünde, ein anderes Leben zu leben als das, das mir meine Natur vorgibt, das nicht meine Wahl ist, sondern eine gegebene?
Wie war das noch, beim Bischof von Aachen: »Was wir in der Schöpfung vorfinden, ist gut. Homosexualität ist keine Panne Gottes, sondern gottgewollt im selben Maß wie die Schöpfung selbst« (Christ & Welt 37/2022, S. 1-2). Nicht immer war Bischof Helmut Dieser dieser Meinung. Die Praxis, das Leben, hat ihn verändert. So wie viele andere auch. Um so bedauerlicher, trotz positiver Aussagen von Papst Franziskus, dass es im Frühjahr 2021 eine Stellungnahme der Glaubenskongregation gab: kein Segen bzw. keine Segensfeiern für Homosexuelle! Eine peinliche Panne in diesem Pontifikat, auch wenn aus dem Vatikan verlautete, dies stelle »keine Diskriminierung« dar.
Männer und Frauen wollen nicht nur Männer lieben dürfen und können und Frauen lieben dürfen und können. Sie wollen auch mit Männern oder Frauen zusammenleben. Manche sogar, trotz allem, immer noch mit dem Segen der Kirche.
Die Begrüßung von Kardinal Marx am vergangenen Samstag und seine Predigt zeigten: Manche kirchliche Hierarchen denken um. Und zeigen Wertschätzung, die man ihnen abnimmt. Das ist immerhin schon was!
Franz von Bayern, Zuschauer in der ersten Reihe. Erinnerungen. In Zusammenarbeit mit Marita Krauss. München: C.H. Beck 2023, 304 S.
(Überarbeitet am 26. Juli 2023)