Ist unter meinen Freunden jetzt ein Irrlehrer? Als ich am 8. April 2018, zweieinhalb Monate nach meiner Krebs-OP und davon gezeichnet, mein erstes Buch über Papst Franziskus (Kösel Verlag) veröffentlichte, war der Südtiroler Servitenpater Martin M. Lintner bei der Buchpräsentation in München dabei. So lernte ich ihn kennen.
Kein »Nihil obstat«: Rom düpiert Brixen
Meine spätere Lektorin bei Tyrolia hatte ihn mitgebracht. Der Innsbrucker Verlag wird von der in diesen Tagen unerwarteten Publizität ihres Autors profitieren. Angeblich war das schon 2011 erschienene Buch »Den Eros entgiften« der Anlass, Lintner die nötige Bestätigung aus Rom zu verweigern: Zum Dekan der Phil.-Theol. Hochschule gewählt, musste Ivo Muser, der Bischof von Bozen-Brixen, Ende Juni mitteilen, das zuständige Dikasterium für Kultur und Bildung habe das »Nihil obstat« verweigert. Widersprüchlich: Dekan darf Lintner nicht werden, lehren darf er weiterhin schon.
Düpiert ist damit auch der Diözesanbischof, der einer öffentlichen Erklärung, die Lintner nach einigen Tagen verfasste, ausdrücklich zustimmte. Die beiden wollen keinen Rekurs gegen das Njet aus dem Vatikan einlegen, weil sich solche Verfahren erfahrungsgemäß lange hinziehen. Das wollen sie sich und der Hochschule ersparen.
»Ich bin kein Irrlehrer«: Christ & Welt (Nr. 29/2023) berichtete ausführlich über den Vorgang. Wie mein Innsbrucker Lehrer Hans Rotter SJ (1932–2014) tritt Lintner dafür ein, von einer rigiden Verbots- und Gebotsmoral wegzukommen und den Menschen und seine Lebensrealität in den Mittelpunkt der Moraltheologie zu stellen. Seine Positionen – nicht nur zu Reizthemen wie (Homo-)Sexualität – sind, mindestens im deutschen Sprachraum, Konsens unter Moraltheologen. Anderswo nicht. Das benennt er auch und geht etwa auf Widerstand gegen das Nachsynodale Schreiben »Amoris laetitia« (2016), das ja nicht nur vier sogenannte Dubia-Kardinäle rückgängig machen wollten.
Ambivalente Signale aus Rom
Lintner verweist darauf, dass vielen die Positionen von Papst Franziskus aufstoßen. Allerdings kommen eben auch widersprüchliche Signale aus Rom. Es wirkt wie bei der Echternacher Springprozession: zwei Schritte nach vorn, einer wieder zurück. In Interviews äußert sich Franziskus so, bei anderen Gelegenheiten anders. Das irritiert zunehmend.
Auch im »Fall« Martin M. Lintner. Mit seinen Themenschwerpunkten, darunter Tierethik, international bekannt und geschätzt, steht er jetzt als »abweichender« Theologe da. Wer ihn kennt, wer seine Bücher liest, kann nur den Kopf schütteln. C&W charakterisiert ihn so: »Martin M. Lintner ist ein leiser Mahner.«
Wie ein solcher Vorgang auf einen Betroffenen wirkt? Lintner ist Ordensmann – er war auch Provinzial – und Priester. Verbittern wird er nicht, aber er ist auch kein Stein. Über die weit über Südtirol und Italien hinausreichenden Solidaritätsbekundungen freut er sich. Sie tun jemandem gut, der über Nacht »ins Visier« gerät. Lintner selber fordert: »Das Nihil-obstat-Verfahren gehört reformiert, transparent und fair gestaltet.«