Es war seine erste Reise außerhalb des Vatikans nach seiner Wahl, noch bevor er zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro aufbrach: Papst Franziskus am 8. Juli 2013 auf Lampedusa. Welcher Nichtitaliener kannte die Mittelmeerinsel vorher? Sie liegt näher am afrikanischen Kontinent als bei Sizilien.
Wider die Globalisierung der Gleichgültigkeit
Franziskus verbat sich seinerzeit die Anwesenheit von Ministern, Kurienkardinälen oder sonstigen Prominenten. Das Papamobil blieb in Rom. Alles war schlicht angelegt. Jegliche liturgische oder sonstige Inszenierung unterblieb. Das war der neue Papst! Und nicht jeder Realpolitiker war mit seinem später vielzitieren Weckruf gegen die »Globalisierung der Gleichgültigkeit« einverstanden.
Es ging Franziskus um ein Zeichen der Solidarität: Er sei gekommen, um zu weinen mit denen, die auf der Insel, dem Einfallstor Tausender Flüchtlinge und Migranten aus Subsahara-Afrika und dem Maghreb, gelandet sind – und zu weinen über die mehr als 10.000 Menschen, die es nie bis auf die Insel mit ihren (damals) 4500 Einwohnern geschafft hatten, weil sie unterwegs umkamen. Drei Monate später kenterte ein Boot. Fast 300 Leichen wurden geborgen.
Bei anderen Gelegenheiten, auf Lesbos, in Straßburg (Europarat, Europarlament) oder bei der Verleihung des Karlspreises hat Franziskus daran erinnert. Man hört zu, applaudiert – und dann? Der Papst hat bekanntlich keine Legionen. Er kann nur erinnern, bitten, mahnen, motivieren, werben. Das tut er. Franziskus ist ein Anwalt für Menschen an der Peripherie. Für die Ärmsten der Armen. In den Kathedralen von Kommerz und Konsum, auf den Symposien über Migration sind sie nicht zu finden.
Vor zehn Jahren: 2013/2023
Jetzt schrieb er Alessandro Damiano, dem Erzbischof von Agrigent, in Erinnerung an diese Reise einen Brief (Original hier): »Zehn Jahre sind vergangen, seitdem . . .«. Tragödien auf dem Mittelmeer gab es seither viele. Tausende Menschen sind dabei umgekommen. Auf der Suche nach einem anderen Leben – ohne Krieg, Gewalt oder Hunger. Auch Kinder – »ein schmerzlicher und ohrenbetäubender Schrei, der uns nicht gleichgültig lassen kann«.
Fast schaut es so aus, als könne man sich an die Schreckensbilder von gekenterten Booten gewöhnen. Franziskus tut das nicht. Und er kann es nicht: »Das Auftreten solch unmenschlicher Katastrophen muss unser Gewissen unbedingt erschüttern«. Und er appelliert erneut an Menschlichkeit, an Großzügigkeit, an die Phantasie von Politikern, Lösungen für die anhaltenden Migrationswellen zu finden und nicht nur über Flüchtlingsquoten zu reden. Wem gelten die Worte, wer hört sie: »Ich fordere euch daher auf, nicht in der Angst oder in der parteiischen Logik gefangen zu bleiben, sondern Christen zu sein, die fähig sind, diese Insel im Herzen des Mare Nostrum mit dem geistlichen Reichtum des Evangeliums zu befruchten, damit sie wieder in ihrer ursprünglichen Schönheit erstrahlt.«
Europäische Bischöfe uneins, bis heute
Die Situation spaltet, auch Bischöfe, wie der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, neulich in einem ORF-Interview sagte, in dem er zur bevorstehenden Bischofssynode über Synodalität befragt wurde: »Ich erlaube mir hier eine Kritik, die ich behutsam aber doch deutlich formuliere: Die Europäische Bischofskonferenz, die sogenannte CCEE, in der ich 22 Jahre lang Mitglied war, hat sich mit vielen Themen beschäftigt – aber sie hat es nie geschafft, eine gemeinsame Position der europäischen Bischöfe in der Migrationsfrage zustande zu bringen. Das ist für mich eine schwere Enttäuschung. Warum hat man die Impulse von Franziskus hier nicht aufgegriffen? Also wenn die Synodalität, die Franziskus jetzt verstärkt praktizieren will, nicht zu klaren Worten zu den großen gesellschaftlichen Problemen führt, dann ist sie gescheitert.«
Im Januar 2014 habe ich in den »Stimmen der Zeit« ein Editorial zum Stichwort »Globalisierung der Gleichgültigkeit« veröffentlicht.