Er wird am 23. Juli die Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele halten, am 6. August die Festrede bei den Salzburger Hochschulwochen: der österreichische Physik-Nobelpreisträger Anton Zeilinger, der am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) forscht.
In einem Interview mit den Salzburger Nachrichten für deren Beilage zu den diesjährigen Festspielen »Die Zeit ist aus den Fugen« (18. Juli 2023) zitiert der emeritierte Professor den Jesuitentheologen Karl Rahner (1904–1984).
Der Fromme von morgen: ein Mystiker
Eine Frage in dem Interview lautet, nachdem zuvor mit Bezugnahme auf Albert Einstein (»Gott würfelt nicht«) über den Zufall die Rede war: »Ist Gott allwissend oder weiß er dann selbst nicht, was herauskommt?«
Zeilinger zitiert Rahner in seiner Antwort: »Das weiß ich nicht. Eine der Entwicklungen, die in der Kirchengeschichte viel zu intensiv geworden sind, ist die, dass man Gott alle möglichen Eigenschaften zuschreibt. Der Theologe Karl Rahner hat gesagt, der Fromme der Zukunft werde ein Mystiker sein oder er werde nicht mehr sein. Das heißt, dass wir uns von vielen allzu genauen Vorstellungen von Gott verabschieden müssen.«
Der weltbekannte Münsterschwarzacher Benediktiner Anselm Grün (der übrigens über Karl Rahner eine Doktorarbeit verfasst hat) sagte einmal in einem Interview: »Ich würde mich nicht als Mystiker bezeichnen. Das Wort wäre zu groß für mich. Man kann mit solchen Begriffen nicht angeben. Ich interessiere mich für die Mystik und die Erfahrungen der Mystiker. Und ich versuche, in der Stille und in der Meditation an die Erfahrungen heranzukommen, die die Mystiker gemacht haben.« Will da ein Mönch bewusst tiefstapeln?
Wenn selbst so einer das sagt, wie soll es mir dann gelingen?, fragen logischerweise manche nach. In demselben Interview sagt Anselm: »Mystiker sind schauende Menschen.« Das geht in Richtung Rahner. Das von Zeilinger verwendete Rahner-Wort ist eines seiner meistzitierten Worte, das, weil es so oft zitiert und aus dem Zusammenhang gerissen wird, ein Allerweltswort geworden ist, ein Kalenderspruch und Aphorismus. Je nach Bedarf wird es ins Prokrustesbett der spirituellen oder theologischen Beliebigkeit gesteckt und dort gekürzt oder gestreckt, also: verstümmelt wird – damit es »passt« und »stimmig« ist.
. . . einer, der etwas erfahren hat . . .
Karl Rahner hatte eine ganz und gar antielitäre Auffassung von Mystik! In seinen Augen ist es eine allen Menschen zugängliche und mögliche Erfahrung. Also nicht nur eine für Spezialisten. Das »Zauberwort« dabei lautet: Erfahrung, genauer: spirituelle Erfahrung.
Ursprünglich findet sich das vielzitierte Rahner-Wort in einem in der Zeitschrift »Geist und Leben« (Heft 5/1966), nämlich in dem Artikel »Frömmigkeit früher und heute«, der dann in Band 7 von Rahners »Schriften zur Theologie« (S. 11-31, Zitat: 23 f.) aufgenommen wurde: »Nur um deutlich zu machen, was gemeint ist, und im Wissen um die Belastung des Begriffes ›Mystik‹ (der recht verstanden, kein Gegensatz zu einem Glauben im Heiligen Pneuma ist, sondern dasselbe) könnte man sagen: der Fromme von morgen wird ein ›Mystiker‹ sein, einer, der etwas ›erfahren‹ hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im voraus zu einer personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und religiöse Sitte aller mitgetragen wird, die bisher übliche religiöse Erziehung also nur noch eine sehr sekundäre Dressur für das religiös Institutionelle sein kann.«
Ein typisch langer Rahner-Satz. Der es aber in sich hat! Ihm unmittelbar voraus geht in einem ganzen Absatz die Überlegung, dass Menschen – vor dem Hintergrund einer Skizze zur »kargen Frömmigkeit« – »den Mut eines unmittelbaren Verhältnisses zum unsagbaren Gott« finden sollten. Rahner wies auch auf den Zusammenhang zwischen der Erfahrung der Verwiesenheit und einem richtigen »Gottesbild« hin – was wiederum zu Zeilinger führt: Wir müssen uns von Vorstellungen, die wir für Gott halten, verabschieden. Jede Rede von Gott ist analoge Rede!
Mystagogie: Einweisung in Erfahrungen des Glaubens
Wenn und wo das tragende »kirchliche Milieu« sich verflüchtigt, zerbröselt, auflöst, weil Christen zur Minderheit werden und traditionelle Selbstverständlichkeiten verschwinden, sind Menschen verstärkt angewiesen auf persönliche Glaubens- und Gotteserfahrungen, aus denen heraus sie leben oder zu leben versuchen. Deswegen bedarf es mehr und mehr, was Karl Rahner bereits 1966, also vor bald 60 Jahren, klar gesehen hat: nämlich »einer Mystagogie in die religiöse Erfahrung, von der ja viele meinen, sie könnten sie nicht in sich entdecken, einer Mystagogie, die so vermittelt werden muss, dass einer sein eigener Mystagoge werden kann.«
Einweisungen in Erfahrungen des Glaubens – darauf kommt es heute mehr denn je an. Mehr vielleicht als Theologie, auch wenn Liturgie und Spiritualität nicht theologielos ablaufen können, will man sie nicht banalisieren und trivialisieren.