Es stimmt: Der Papst ist autoritär – weil er Autorität hat. Es stimmt: Dieser Papst kann auch wüten – weil er Gründe hat, um aus der Haut zu fahren. Es stimmt: Dieser Papst hat wiederholt dazu eingeladen, ihm zu widersprechen. Aber bekanntlich macht der Ton die Musik.

In Sorge um die Kirche – aber um welche?

Das Timing war jedenfalls kein Zufall: Quasi am Vorabend der Weltsynode über Synodalität, am Montag (2. Oktober), haben vier Kardinäle ihre im Juli 2023 an Papst Franziskus gerichteten »Dubia« veröffentlicht. Die Kardinäle Walter Brandmüller und Raymond Burke hatten solche, zusammen mit zwei anderen, inzwischen verstorbenen Kardinälen, bereits 2016 schon einmal geäußert, im Nachgang des Nachapostolischen Schreibens »Amoris laetitia«. Damals hatte Franziskus nicht geantwortet.

Diesmal schon. Am Tag danach bereits. Aber nicht so, wie sich die fünf Kardinäle das gewünscht hatten. Deswegen veröffentlichten sie ihr Schreiben (vom 10. Juli 2023). »Heiße Eisen« wie die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare oder die Frage der Weihe von Frauen sind darunter – Themen, die auf der am 4. Oktober beginnenden Synode auf den Tisch kommen könnten.

Wer das »Instrument laboris«, das Arbeitsdokument für die Beratungen bis 29. Oktober, angeschaut hat, weiß, dass dies keineswegs nur Fragen auf dem deutschen Synodalen Weg waren, so sehr das Narrativ vom »deutschen Sonderweg« kultiviert und gefördert wurde, um eine Chimäre zu schaffen. Die Fragen sind weltweit virulent.

Nun sorgen sich wieder einmal (teils sehr alte) Kardinäle: Was denn nun gilt von der katholischen Lehre? Und sie sind nicht zufrieden damit, wenn der Papst nicht mit Ja oder Nein antwortet. Als ob jede erdenkliche menschliche oder pastorale Situation mit Ja oder Nein beantwortbar wäre! Als ob es eine »unveränderliche« Lehre gäbe, die seit Ewigkeiten feststand!

Kirchliche Lehre hat sich entwickelt, sie verändert sich, sein muss neuen Erkenntnissen angepasst werden. Für Kardinäle (und Bischöfe) eines bestimmten Typs ist das Verrat.

Band 14 der »Schriften zur Theologie« (1980) von Karl Rahner trägt den Titel »In Sorge um die Kirche«. Damals beklagte der Jesuitentheologe einen Rückbau des Zweiten Vatikanischen Konzils. Gewiss sorgen sich auch diese fünf Kardinäle um die Kirche – aber um welche? Um ihre Kirche? Mit der Attitüde von »Zionswächtern«, die um Buchstaben und Beistriche besorgt sind und nicht kapieren, dass es nicht nur um den Wortlaut geht?

Inzwischen wurde bekannt, dass sich am 13. Juli noch ein sechster Kardinal, der emeritierte Erzbischof von Prag, ein Dominikaner, gemeldet hat: Er äußerte Zweifel bezüglich des Kommunionempfangs geschiedener Wiederverheirateter – auch das ein Nachhutgefecht zu »Amoris laetitia«.

»Als ob der Papst ihr Laufbursche wäre . . .«

Der neue Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Neo-Kardinal Víctor Manuel Fernández, offenbarte nun gegenüber einer spanischen Zeitung, Franziskus habe diesen Kardinälen geantwortet, »trotz seiner vielen Beschäftigungen«. Aber sie hätten sich damit nicht zufrieden gegeben. »Anstatt diese Antworten zu veröffentlichen«, so der ehemalige Erzschof von La Plata (Argentinien), der als einer der engsten Vertrauten und als Ghostwriter von Franziskus gilt, »stellen sie nun neue Fragen, als ob der Papst ihr Laufbursche wäre.« Das war am 21. Juli.

Der Ton macht die Musik: Ultimativ geradezu, wie seinerzeit 2016, fordern Kardinäle vom Papst eine Antwort. Eine, die ihnen passt. Und begründen das mit ihrer Sorge um die Kirche. Sie hätten die Pflicht, Gläubige über ihre Fragen zu informieren, damit diese nicht in »Verwirrung, Fehlverhalten und Entmutigung« verfielen.

Auf der Webseite des Dikasteriums für die Glaubenslehre wurde deswegen am Montagnachmittag das erste Schreiben der fünf Kardinäle und die Antworten von Franziskus darauf veröffentlicht. Franziskus appellierte dabei auch an pastorales Feingefühl und Klugheit. Dem veröffentlichten Dokument zufolge hatte Kardinal Fernández den Papst darum gebeten, einige Absätze seiner Antworten zitieren zu dürfen, wie nun aus einem Audienzprotokoll vom 25. September hervorgeht.

Indirekt haben diese Kardinäle nämlich auch einen Beitrag zu dem geliefert, was Synodalität bedeuten kann: sich einbringen, sich  beteiligen, offen (und nicht hinter den Kulissen) Stellung beziehen – um dann aber auch auf Andere zu hören und möglicherweise die eigene Position zu differenzieren oder zu korrigieren. Es geht um das Hören auf den Geist Gottes, nicht darum, mit der Traditionskeule jede Art von Veränderungspotential von vornherein zu verdammen.

Gesprächskultur lernen: ein Hinweis von Winfried Haunerland

Wann gab es das zuletzt, dass Kardinäle laut darüber nachdenken, wann ein Papst abgesetzt werden kann? Auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418)? Was bedeutet es, wenn Kardinäle, weil sie unzufrieden sind mit dem Bischof von Rom, diesen unter Druck setzen, indem sie ihre Eingaben öffentlich machen?

Der Liturgiewissenschaftler Winfried Haunerland (1956–2023) veröffentlichte in der August-Ausgabe 2023 der Herder Korrespondenz einen Artikel, der zu seinem Vermächtnis werden sollte (er verstarb nach schwerer Krankheit am 2. August): »Katholischer werden. Gesprächskultur auf dem Synodalen Weg« (HerKorr 74, 2023/8, 49-51). Was ich dort zur Debattenkultur bzw. -unkultur währen der Beratungen des Synodalen Weges in Deutschland las, trifft auch auf die kommende Synode im Vatikan zu.

Bedenkenswert: »Eine katholische Kirche, die als Weltkirche allumfassend sein will, wird noch mehr lernen müssen, mit Uneindeutigkeiten, Ungleichzeitigkeiten und Vielfalt umzugehen.« Dem, was Haunerland in verbissenen Debatten zunehmend vermisste, stellte er eine bessere Gesprächskultur gegenüber: »Schnelle Lösungen (etwa mit Rückzug allein auf das päpstliche Lehramt) geben eine Scheinsicherheit und führen nur zu Verhärtungen (bei sich selbst und bei anderen). (…) Wo gegenseitig unterstellt wird, nicht mehr katholisch zu sein oder dass die anderen das Evangelium nicht ernst nehmen, ist Synodalität nicht möglich.« Deswegen müsse dringend »ein Ausstieg aus der Spirale der Verwundungen gesucht werden«, damit nicht »alte Verletzungen mit neuen Verletzungen beantwortet« werden.

Das könnte auch ein Papst Franziskus gesagt haben: »Synodalität ist kein schneller Weg zur Entscheidungsfindung, sondern sie braucht Zeit und wachsende Toleranz für das, was im Rahmen des Katholischen möglich ist. Wenn Kirche synodaler werden will, muss sie deshalb katholischer werden«.

Voneinander lernen setzt voraus: aufeinander hören

Wer hat Recht: Ich oder ich? Wer diese Haltung (als Totschlagargument) einnimmt, kann nicht dazulernen. Sondern nur blind verteidigen – und geht dabei, zugespitzt gesagt, über Leichen. Die Dogmatik-Professorin Eva-Maria Faber (Chur), setzt in den »Stimmen der Zeit« (9/2023) auf »Lernchancen«: Es gehe auf der Synode um »die Bereitschaft, sich besserer Einsicht zu öffnen. Synodalität würde also verlangen, Argumente nicht nur für die eigene und gegen die andere Position zu suchen, sondern in einem komplexen Prozess pro und contra für alle Positionen durchzuspielen, ohne Gegnerschaften aufzubauen.«

Papst Franziskus ist dazu aus meiner Sicht fähig und bereit. Sind es diese »Dubia«-Kardinäle auch?

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Ergänzt am 4. Oktober 2023 um einige »typische«, also bezeichnende Franziskus-Antworten (in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan):

  1. »Daher muss die Kirche ständig unterscheiden, was für das Heil wesentlich ist und was hingegen sekundär oder weniger direkt mit diesem Ziel verbunden ist.«
  2. »Schließlich kann eine einzelne Formulierung einer Wahrheit niemals richtig verstanden werden, wenn sie isoliert, losgelöst von dem reichen und harmonischen Kontext der gesamten Offenbarung, dargestellt wird. Die ›Hierarchie der Wahrheiten‹ impliziert auch, dass jede Wahrheit in einen angemessenen Zusammenhang mit zentraleren Wahrheiten und mit der Lehre der Kirche als Ganzes gestellt wird.«
  3. »Die Verteidigung der objektiven Wahrheit ist nicht der einzige Ausdruck dieser Nächstenliebe, die auch aus Freundlichkeit, Geduld, Verständnis, Zärtlichkeit und Ermutigung besteht. Deshalb dürfen wir keine Richter sein, die nur verneinen, ablehnen und ausgrenzen.«
  4. »Dementsprechend muss die pastorale Klugheit richtig einschätzen, ob es Formen der Segnung gibt, die von einer oder mehreren Personen erbeten werden und die nicht eine falsche Vorstellung von der Ehe vermitteln. Denn wenn man um einen Segen bittet, drückt man eine Bitte um Hilfe von Gott aus, eine Bitte, besser leben zu können, ein Vertrauen auf einen Vater, der uns helfen kann, besser zu leben.«
  5. »Es ist etwas ganz anderes, eine bestimmte synodale Methodik, so wie sie einer Gruppe passt, zu sakralisieren oder aufzuzwingen, sie zur Norm und zum obligatorischen Weg für alle zu machen, denn dies würde nur dazu führen, den synodalen Weg ›einzufrieren‹ und die unterschiedlichen Charakteristika der verschiedenen Teilkirchen und den vielfältigen Reichtum der Universalkirche zu ignorieren.«
  6. »Ich möchte auch daran erinnern, dass ›es uns manchmal viel kostet, der bedingungslosen Liebe Gottes in der Seelsorge Raum zu geben‹ (Amoris laetitia 311), aber das sollten wir lernen. In Anlehnung an Johannes Paul II. vertrete ich die Ansicht, dass wir von den Gläubigen keine zu präzisen und bestimmten Korrekturabsichten verlangen sollten, die schließlich abstrakt oder sogar narzisstisch würden, aber selbst die Vorhersehbarkeit eines neuen Falls ›untergräbt nicht die Echtheit der Absicht‹ (Johannes Paul II., Brief an Card. William W. Baum und die Teilnehmer am Jahreskurs der Apostolischen Pönitentiarie, 22. März 1996, 5).«

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Informationen zum Ablauf der Synode hier.