Am 29. Juni wird Kardinal Seán Patrick O’Malley, Erzbischof von Boston (USA), 80 Jahre alt. Damit verliert er das Papstwahlrecht. Die Zahl der Kardinäle, die an einem Konklave teilnehmen könnten, um einen neuen Bischof von Rom zu wählen, beträgt dann 125. Bis Jahresende 2024 werden fünf weitere Kardinäle die Altersgrenze erreichen. Vor O’Malley waren im Kalenderjahr 2024 sechs Kollegen ausgeschieden. Zum 31. Dezember 2024 wird der Kreis der Wahlmänner damit, Todesfälle oder vorzeitige Rücktritte nicht berücksichtigt, 120 betragen.
Das Wahlkollegium schrumpft kontinuierlich – naturgemäß
Der Kapuziner O’Malley ist seit über 40 Jahren Bischof: zuerst Koadjutor (1984), dann Bischof von Saint Thomas (1985–1992) in der Karibik, wurde er nach Fall River/Massachusetts (1992–2002) und Palm Beach/Florida (2002–2003) transferiert, bevor er 2003 Erzbischof von Boston wurde, nachdem Bernard Francis Law zurückgetreten war. Ein Troubleshooter. O’Malley gehört seit 2013 auch dem Kardinalsrat von Papst Franziskus an und ist Präsident der Päpstlichen Kinderschutzkommission, als welcher er Franziskus auch schon einmal öffentlich für seine Wortwahl kritisierte. Ein wichtiger Kirchenmann tritt ab.
Im Kalenderjahr 2025 werden 13 Kardinäle 80 Jahre alt. Darunter Christoph Schönborn OP, der langjährige Erzbischof von Wien. Er und Kardinal Philippe Quédraogo (Burkina Faso). Österreich ist dann bei einem Konklave nicht mehr vertreten.
Nationale und kontinentale Befindlichkeiten
Ein neues Konsistorium ist, ob nun im Herbst 2024 oder Frühjahr 2025, wahrscheinlich – will der Papst eine gewisse Balance im Kardinalskollegium halten und auf nationale wie kontinentale Repräsentation und Gerechtigkeit achten. Will er?
Nationenmäßig die stärkste Gruppe: die Italiener. Es gibt 48 italienische Kardinäle, von denen aber nur 14 unter 80 und damit wahlberechtigt sind, ab 25. September 2024 sind es 13. (Beim Konklave im März 2013 waren es noch 25.) Sieben Spanier, sechs Franzosen (ab 25. September 2024 fünf), je vier Polen und Portugiesen wären aktuell in einem Konklave.
Albanien, Irland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowenien und Tschechien sind jetzt schon ohne Papstwähler. Außerhalb Europas fallen diese Gewichtungen auf: Kanada hat drei, Nordamerika zehn (wenn man O’Malley aktuelle bereits abzieht), Mexiko zwei, Lateinamerika ist mit 20 Kardinäle vertreten, darunter drei argentinische und sechs brasilianische Kardinäle, wohingegen Peru und Bolivien bereits keinen wahlberechtigten Kardinal haben, Venezuela ab 10. Oktober 2024. Asien (21) und Ozeanien (drei) stellen zusammen 24 Wahlmänner. Schaut man sich die demographische Situation – die Verteilung der Katholiken auf fünf Kontinenten – an, fällt das (historisch bedingte) Ungleichgewicht von insgesamt 51 europäischen Kardinälen auf, wohingegen beide Amerikas 34 und Afrika 17 wahlberechtigte Kardinäle haben.
Die franziskanische Ernennungspolitik
Die „Ernennungspolitik“ von Franziskus ist – wie soll man sagen: eindeutig, aber nicht unumstritten. Er stärkt den Süden und bremst den europäischen Überhang. Obwohl niemand bestreiten wird, dass der Papst ganz frei ist bei seinen Kreiierungen, gehen »traditionelle« Erzbischofstühle, die mit dem »roten Hut« früher oder später fast automatisch rechnen konnten, jahrelang leer aus und fühlen sich brüskiert: Venedig, Mailand, Palermo. In den USA San Francisco, Los Angeles und Philadelphia. Dort wurde jedoch der Bischof von San Diego Kardinal, ebenso wie in Italien der Bischof von Como. Sie waren durch gesellschaftskritische Aussagen aufgefallen.
Die »Politik« des Papstes hat Vor- und Nachteile. Manche Kardinäle kennen sich kaum oder fallen weltkirchlich nicht weiter auf. Sie müssen sich also in einem Vorkonklave erst kennenlernen, wo es immer auch um das Profil des Bischofs von Rom geht: Wen braucht es? Und warum? Aus welchem kulturellen Raum soll er kommen? Während die einen Stimmen sagen: Es sollte wieder ein Italiener werden (»damit Ruhe in die Kurie kommt«), sind andere stante pede gegen einen Europäer (unter denen es durchaus, etwas aus Malta) Alternativen gäbe.
Ein Papst aus der südlichen Hemisphäre garantiert indes nicht automatisch Aufbruch. Sie sind in der Regel in sozialen Fragen sehr aufgeschlossen, in doktrinären jedoch traditionell. Von daher »garantiert« die Tatsache, dass mittlerweile über 73 Prozent der wahlberechtigten Kardinäle aus der Ära Franziskus und nur mehr fünf bzw. 21 aus der Amtszeit von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. stammen, noch keinen Aufbruch. Die Gewichte haben sich in mehrfacher Hinsicht verschoben.
Der weltweite synodale Prozess mit der Doppelsynode 2023/24 – zuletzt mit den Rückmeldungen aus den Bistümern, aus welchen im Moment das Arbeitsdokument (»Instrumentum laboris«) für die Oktobersynode 2024 erstellt wird –, hat unabweisbar aufgebracht, dass viele Fragen mitnichten europäische oder deutsche Themen, sondern überall auf dem Globus akut sind, obenauf die Frauenfrage und Fragen echter Partizipation. Der nächste Papst wird diesen Fragen nicht ausweichen können.
Franziskus, der rastlose
Und Franziskus? Er redet sich manchmal um Kopf und Kragen. Der Vatikan tut sich schwer damit, schräge oder verunglückte Aussagen einzufangen, und wenn er es tut, dann oft nur halbherzig. Bei seinen Tagesreisen nach Venedig und Verona wirkte der Papst fit und energiegeladen, Rollstuhl hin oder her. Triest steht (im Juli) an. Im August die strapaziöse Fernostreise nach Osttimor, Papua-Neuguinea, Singapur und Indonesien. Im September Belgien: ein Universitätsjubiläum (Leuven/Louvain), mit einem Abstecher nach Luxemburg, auch wenn diese Reise noch nicht offiziell bestätigt ist.
Eine andere Premiere war die Teilnahme am G7-Gipfel in Apulien (14. Juni), wo Franziskus auf Einladung von Gastgeberin Giorgia Meloni über Künstliche Intelligenz sprach. Das vergangene Woche vom Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen präsentierte, 150 Seiten starke Studiendokument »Der Bischof von Rom« ist ein weiterer Meilenstein. Es hat zwar unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Von Anglikanern, Armeniern und anderen christliche Kirchen kamen aber positive Signale. Der Papst – unterwegs zum »Ehrenoberhaupt aller«?
Man sieht: Mit Franziskus ist zu rechnen! Nachrufe sind ebenso verfrüht wie eine »Franziskus-Bilanz« (»Der Papst der Enttäuschungen«).