Es war mit Spannung erwartet worden: Das Arbeitsdokument (»Instrumentum laboris«) für die zweite Sitzung der 16. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofs- bzw. Weltsynode (»Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe, Mission«) im Oktober 2024. Am 9. Juli wurde es in der Sala Stampa, dem Pressesaal des Vatikans, von den Kardinälen Mario Grech (Generalsekretär der Bischofssynode) und Jean-Claude Hollerich SJ (Generalrelator) sowie den beiden Beratern des Generalsekretariats, Riccardo Battocchio und P. Giacomo Costa SJ, vorgestellt. Es umfasst unter dem Titel »Wie wir eine synodale Kirche werden können« 30 Seiten, fünf Abschnitte und 112 Punkte. Zwischen Einleitung und Schluss (»Die synodale Kirche in der Welt«) lauten die drei Teile des Dokuments »Beziehungen«, »Wege« und »Orte«.
Klar ist: Synodalität sowohl als Stil- wie als Strukturelement der Kirche im 21. Jahrhundert ist ein Lernprozess, ein oft mühsamer Weg, weil er einen Mentalitätswandel, theologisch gesprochen: eine Bekehrung voraussetzt und weil es dabei um einen geistlichen Prozess geht, was Papst Franziskus unerlässlich betont. Frage: Hört man noch auf ihn?
»Eine gute Grundlage für den Oktober 2024« (Georg Bätzing)
Inzwischen liegen etliche Reaktionen vor, darunter eine Würdigung von Bischof Georg Bätzing, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Er hält das Arbeitsdokument »inhaltlich für eine gute Grundlage, mit der wir in Rom arbeiten können. Gespannt bin ich auf die Art und Weise, wie wir dazu synodal ins Gespräch gebracht werden«. Er unterdrückt aber auch nicht, was er in dem Text vermisst.
Bätzing weist auf zwei Aspekte hin, die ihm zu kurz gekommen scheinen: Er empfindet es als »erstaunlich«, dass erst in Absatz Nr. 75 auf die Missbrauchsthematik Bezug genommen wird: »Aus der Erfahrung des Synodalen Weges in Deutschland sind für mich die systemischen Ursachen von Missbrauch und sexualisierter Gewalt existenziell verknüpft mit der Frage der zukünftigen Gestalt unserer Kirche.« Das Thema kann aus seiner Sicht nicht »unter ferner liefen« behandelt werden: »Für mich ist die Erschütterung, die von diesen Skandalen in der Kirche ausgeht, ein unübersehbarer Beweggrund für Reformbemühungen. Denn die systemischen Ursachen von Missbrauch und sexualisierter Gewalt müssen beseitigt werden.«
Außerdem merkt er kritisch an, dass die Entscheidung des Papstes, eine Reihe von Einzelthemen in Arbeitsgruppen auszulagern, die im Oktober auf der Synode einen ersten und im kommenden Jahr einen abschließenden Bericht vorlegen sollen, um den roten Faden bzw. die zentrale Thematik der Synodalität nicht zu überfrachten, nicht kommuniziert wurde: »Leider gibt es jedoch keinerlei Informationen darüber, wer die Mitglieder dieser Arbeitsgruppen sind, noch nach welchem Procedere die Arbeitsgruppen gebildet wurden. Angesichts des rahmengebenden synodalen Prozesses, bei dem es um Partizipation, Transparenz und Rechenschaft geht, ist das eine Sachlage, von der man nur hoffen kann, dass es hier Veränderung gibt.«
Was zeichnet sich ab?
Was fiel mir auf, ohne zu wiederholen, was auf katholisch.de (Bonn), kathpress.at (Wien) oder domradio.de (Köln) usw. schon bemerkt wurde, was Thomas Söding (»Volles Auftragsbuch«) oder Ludwig Ring-Eifel (»Konturen einer neuen Kirchenverfassung«) kommentiert und analysiert haben? Das Arbeitsdokument wurde auf Italienisch, Englisch, Portugiesisch und Französisch veröffentlicht. Nicht auf Deutsch. Vielleicht wissen »die Römer«: Die DBK wird das schon machen. Und sie ist dran, wie am Ende der Erklärung von Bischof Bätzing informiert wird. Über die verschiedenen Etappen des synodalen Prozesses wird laufend informiert.
Anders als in früheren Jahren spielt Deutsch im Vatikan keine große Rolle mehr. Einmal abgesehen von den Klischees bezüglich »der Deutschen« oder den Narrativen, die sich um den Synodalen Weg gebildet haben – von dem die Weltkirche lernen könnte, wenn sie sich nicht in Vorurteilen verbeißt und verliert. »Deutsche Theologie«mag längst einen anderen Stellenwert bekommen haben. Wie auch die deutsche Kirche und ihr Einfluss und ihr Ansehen im Vatikan. Das mag, eine narzisstische Kränkung sein, nach dem Pontifikat Benedikts XVI. (»Wir sind Papst«), der zuvor als Präfekt der Glaubenskongregation mehr als zwei Jahrzehnte lang das theologische Gehirn von Johannes Paul II. war. Auch wenn nach wie vor viel Geld vom Rhein in den Tiber fließt: Daraus erwächst kein wie auch immer gearteter Anspruch, mehr mitzureden oder mitzumischen. Der verminderte Einfluss entspricht nicht zuletzt der Demographie. Nach 522.000 Austritten im Jahr 2023 waren es im vergangenen Jahr zwar »nur« 400.000, aber das ist Wasser auf die Mühlen derer, die meinen, Deutschland sei ein Missionsland geworden, es werde nichts mehr geglaubt. Austritte gibt es auch in anderen Ländern, wenn auch vielleicht nicht in den Dimensionen, die an einen Massenexodus erinnern – nur können diese nicht mit derselben Präzision erhoben und festgestellt werden, weil es dort kein Kirchensteuernsystem gibt.
Eine Mär ist allerdings, dass die hierzulande heiß debattierten Themen exklusiv deutsche Themen seien. Das hat schon die Kontinentalversammlung in Prag (Februar 2023) und die erste Sitzung der Weltsynode (Oktober 2023) gezeigt. Weltweit steht die Frauenfrage ganz oben auf der Agenda, unabhängig von der Frage der Weihe zur Diakonin oder Priesterin. Weltweit wird mehr und echte Partizipation gefordert. Weltweit ist ein Bewusstsein entstanden, dass sexualisierte Gewalt kein »westliches« Thema ist und dass sich die Kirche der Problematik stellen muss.
Methodische Fortschritte
Wie schon bei der ersten Sitzung ist auch diesmal das »Instrument laboris« nicht am grünen Tisch entstanden, in irgendwelchen anonymen vatikanischen Hinterzimmern, sondern im römischen Synodensekretariat aus den (bis Mai 2024 fälligen) Berichten, welche die nationalen Bischofskonferenzen gesammelt und jeweils in einen Text gegossen haben. Nr. 12 sagt ganz klar: »In jeder Phase des Prozesses hat sich der Wunsch herauskristallisiert, die Möglichkeit der Partizipation und der Mitverantwortung aller Getauften, Männer und Frauen, in der Vielfalt ihrer Charismen, Berufungen und Ämter zu erweitern.«
Damit es dabei nicht beim frommen Wunsch bleibt oder bei unverbindlichen Absichtserklärungen, wird auch (in Nr. 73) eindringlich darauf hingewiesen: »Eine synodale Kirche braucht eine Kultur und Praxis der Transparenz und der Rechenschaftspflicht (…), die unabdingbar sind, um das gegenseitige Vertrauen zu fördern, das notwendig ist, um gemeinsam zu gehen und die Mitverantwortung für die gemeinsame Sendung zu übernehmen.«
Transparenz und Rechenschaftspflicht: Sonst bleiben bischöfliche Bekenntnisse (»Ich will ein synodaler Bischof sein«) wirkungslos. »Ohne konkrete Veränderungen«, so Nr. 71, »wird die Vision einer synodalen Kirche nicht glaubwürdig sein, und dies wird jene Mitglieder des Gottesvolkes entfremden, die aus dem synodalen Weg Kraft und Hoffnung geschöpft haben.« Frustration gibt es ja unübersehbar auf vielen Seiten. Nach den Erfahrungen der Würzburger Synode (1971/75) und vielen anderen Gesprächs- und Reformformaten in Deutschland mehr als verständlich. Dem Vorwurf der »Partizipationssimulation« kann nur begegnet werden, indem es echte Beteiligung gibt. Aber nicht nur beim Mitreden, Mitdenken und Mitgestaltung. Sondern beim Mitentscheiden.
Theologische Expertise ist nötig – wird sie auch beansprucht?
Dafür braucht es auch Theologie – gute, auch deutsche Theologie. Theologische Expertise aus der Synode im Oktober 2024 sollte genutzt werden. Nicht wie im Oktober 2023, als die Experten nicht an den berühmten symbolträchtigen runden Tischen saßen, sondern am Rand, am Katzentisch sozusagen: abrufbereit. Aber wer beanspruchte sie?
Vielleicht ist heute mehr die Zeit für Prophetinnen und Propheten als für Theologinnen und Theologen. Einem Tomáš Halík, einem Andrea Riccardi, einer Philippa Rath OSB hört man zu, man applaudiert, man schöpft Hoffnung aus ihren Visionen – und schon es über zur Tagesordnung, einer pastoralen, einer strategischen Pragmatik, die oft nichts mehr von dem erkennen lässt, was zuvor bejubelt worden war. So geschehen mit einer Reihe von fulminanten Reden Halíks, die oft ein enormes Echo ausgelösen, im weiteren Verlauf einer Tagung jedoch keine Rolle mehr spielen.
Es braucht beim weltweiten synodalen Prozess gute Theologinnen und Theologen – in der Aula Paolo VI, wo die Synodalen tagen werden und vor Ort, in den Diözesen weltweit, die als Botschafter und Vermittler klar machen müssen: All das hat mit uns zu tun, mit einem großen, epochalen Wandel in der Kirche. Einem Wandel an Mentalitäten, an Einstellungen, an Vorgehensweisen, am Bau einer Kirche, die zeigt, dass sie auch »anders« kann, ohne dabei eine völlig »andere Kirche« zu werden.
Ein Lernprozess auf Augenhöhe
Klara-Antonia Csiszar zum Beispiel, Dekanin der Theologischen Fakultät und Vizerektorin der Privatuniversität Linz, arbeitet seit Jahren an beiden Fronten: Sie war und ist berufene »Expertin« (ohne Stimmrecht) auf der Synode und Botschafterin vor Ort. Ihr Mantra, und sie wird nicht müde, landauf landab dafür zu werben: Synodalität ist ein Dauerauftrag! Dafür tourt die Pastoraltheologin durch ganz Österreich, hält in Pfarreien und Dekanaten, vor Priesterräten, Diözesanversammlungen und vor Bischöfen Impulsvorträge. Eine Sisyphusarbeit. Einladungen erhält sie mittlerweile aus aller Welt. Und sie nutzt die Chance, für ein Anliegen zu werben, das für viele weit weg und »gegessen« ist. Der Papst, sagen nicht wenige, tut am Ende doch, was er will. Bischöfe auch. Das stimmt natürlich nicht, aber gegen allerhand windmühlenartige Vorurteile muss Csiszar ankämpfen.
Ihre Erfahrungen, ihre Erlebnisse und ihre Erwartungen hat sie soeben in einem spannenden Artikel in der Linzer Theologisch-praktischen Quartalschrift: »Was ich in Rom sah und hörte – und was ich davon lern(t)e« (ThpQ 3/2024, S. 296-303). »Vorsichtig und zurückhaltend, was meine Prognosen in Sachen Kirchenreform anbelangt« ist sie, weil sie oft zwischen Ost- und Westeuropa pendelt und wegen ihrer intensiven Kontakte zu Ortskirchen in Rumänien, Serbien, Ungarn, wie auch in Österreich, Deutschland und der Schweiz Einblicke in die Ungleichzeitigkeiten gewonnen hat. Erfahrungen, die sie in Afrika und Asien machte, kommen dazu. Neben Tagebuchnotizen von der ersten Session im Oktober 2023 – sie greift dafür den Ausdruck »Casino Royal der Weltkirche« von Christiane Florin auf – und einem deprimierenden Exkurs über den frauenfeindlichen Bischof ihrer Heimatdiözese bekräftigt sie, dass im Oktober 2023 die Synodalen auf neue Weise darum gerungen hätten, »wie wir zu einer synodalen Kirche der Mission werden können«. Auch wenn, wie sie betont, im deutschsprachigen Raum über die runden (von einer Versammlung in Bangkok abgeschauten) Tische »öfters gespottet« wurde, Tatsache ist: »Bei diesen Tischen fand jedoch ein Lernprozess auf Augenhöhe statt.« Vielleicht auch, weil 21 der 36 Moderatoren Frauen waren, die diese Gespräche leiteten?
Zum synodalen Stil gehörten laut Csiszar die verschiedenen Diskussionsmethoden, spirituelle Impulse, gemeinsame Gottesdienste, Einkehrtage und auch Kaffee- und Essenspausen, welche Expertinnen und Experten, die nicht an den runden Tischen saßen wie Csiszar, nutzten. Einander zuhören: Ist das nicht selbstverständlich? Leider nein. Auf der Synode wurde aber echt und neu zugehört. Der Stellenwert der Theologie, wie er im deutschsprachigen Raum fraglos vorausgesetzt werden kann, ist ausbaufähig. Die Theologie des Konzils spielt in anderen Kontinenten keine oder nur eine sehr geringe Rolle. Eine andere Beobachtung: »Wir haben bei der Synode gesehen, dass die fundamentalistischen rechtskonservativen Kreise sehr gut organisiert sind und hochprofessionell arbeiten. Weiter in Richtung Mitte und etwas nach links gibt es eigentlich keine Netzwerke. Vielleicht also ist es höchste Zeit für einen starken Zusammenschluss und ein gutes Miteinander derer, die nicht ständig gegen den Papst agieren.« Hoffentlich ist das so, hoffentlich ist das beim nächsten Mal anders!
»Synodal Kirche sein«, so Csiszar, »das ist ungemein schwer – aber möglich und schön. Und faszinierend. Man muss ganz unten anfangen. Es ist ein Prozess der missionarischen Herzensbildung«. Kann man das als Synodenprosa abtun? Csiszar wirbt für die »Kompetenz der Vielstimmigen«: »Wir sind daher gut beraten Methoden und Gesprächskulturen einzutrainieren, mit denen wir zum Beispiel hier in Österreich und in Europa zu Entscheidungen kommen, die synodal sind: als ein Miteinander in dieser Kirche und mit allen außerhalb, das – wenn auch nur fragmentarisch erreichbar – Tag für Tag danach strebt, ein gelebtes Evangelium zu sein.«
Dafür braucht es nach Csiszar nicht nur vielleicht einen neuen »Katakombenpakt«, sondern auch»starke Persönlichkeiten, die verbinden statt trennen, die öffnen statt schließen, die auf andere motivierend zugehen – und sich nicht verbittert und verletzt um sich selbst drehen«. Ohne Persönlichkeiten, die gegen die weitverbreitete »Insolvenzrhetorik« (Annette Schavan) in der Kirche anreden und abarbeiten, geht es also nicht! Botschafterinnen und Vermittler braucht es, Multiplikatoren der »großen Idee«, die oft kleingeredet wird aus Frustration oder wegen enttäuschter Erwartungen. Sehr konkret dämpft Csiszar eine weit verbreitete Erwartung: »Werden wir im November 2024 Frauen zu Diakonissen weihen? Das kann ich nicht prognostizieren. Ich bin eher skeptisch. Und wie ›durchschlagend‹ wäre es?«
Ob Bischöfe wissen, was sie an Expertinnen und Experten wie Klara-Antonia Csiszar oder Thomas Söding haben? Ob sie ihnen ihre Wertschätzung auch ausdrücken und ihnen ihr Engagement danken?
Synodalität als dauerhafte Handlungsweise der Kirche auf allen Ebenen?
Dazu am Ende noch der Hinweis auf eine Rede von Papst Franziskus vom 13. Juni (an die Teilnehmer am Jahrestreffen der Moderatoren von Vereinigungen der Gläubigen, kirchlichen Bewegungen und neuen geistlichen Gemeinschaften): »Ich habe wiederholt gesagt, dass der synodale Weg eine geistige Umkehr erfordert, denn ohne eine innere Veränderung gibt es keine dauerhaften Ergebnisse. Ich wünsche mir in der Tat, dass nach dieser Synode die Synodalität als dauerhafte Handlungsweise in der Kirche auf allen Ebenen bestehen bleibt und in die Herzen aller, der Hirten wie der Gläubigen, gelangt, bis sie zu einem gemeinsamen ›kirchlichen Stil‹ wird. All dies erfordert jedoch eine Veränderung, die in jedem von uns geschehen muss, eine echte ›Umkehr‹.« »Das Wichtigste an dieser Synode zur Synodalität«, so Franziskus weiter, »ist nicht so sehr die Behandlung dieses oder jenes Themas. Das Wichtigste ist der Weg der Synodalität auf Gemeinde-, Diözesan- und Universalebene.«
Was auch immer in Rom im Oktober 2024 besprochen und angeregt werden wird: Es zählt, wie der Weg auf lokaler Ebene weitergeht. Es zählt, was Franziskus daraus – vermutlich im Frühjahr 2025 – daraus in seinem Nachsynodalen Schreiben macht. Es ist schwer vorstellbar, dass er dabei, wie bei der Amazonas-Sondersynode, starke Voten einfach übergehen kann.
Wer hört noch auf ihn? Wer nimmt seine Vision von einer Kirche im 21. Jahrhundert ernst? Ich tue es – trotz einer Reihe von verstörenden oder widersprüchlichen Aussagen in anderen Zusammenhängen. Wir stehen in der Tat vor einem Epochenwandel.