»Wenn einer Gay ist und den Herrn sucht und guten Willen hat – wer bin dann ich, ihn zu verurteilen?« Diese Worte von Papst Franziskus, gefallen während der Fliegenden Pressekonferenz auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro Ende Juli 2013, wurden (und werden) oft zitiert. Sie machten vielen Hoffnung, die sich in der Kirche an den Rand gedrängt, diskriminiert, verachtet, als »Schöpfungsunfall« denunziert fühlten.
Willkommenskultur à la Franziskus . . .
Franziskus hat unterschiedliche Aussagen getätigt, manchmal hat er sich dabei auch im Ton vergriffen (»Schwuchtelei«). Vereinnahmen ließ er sich nie. Aber an der Würde jedes einzelnen Menschen hielt er fest. Die LGTBQ+-Community schätzte das. »Alle, alle, alle«: Das war die »franziskanische Willkommenskultur« in der Kirche. Der Alltag queerer Katholiken, auch der kirchliche Alltag, schaute oft anders aus.
Verwundern kann es deswegen nicht, dass eine einwöchige, vom Verband «La Tenda di Gionata« (Das Zelt des Jonathan) und anderen Vereinigungen organisierte Pilgerfahrt queerer Katholikinnen und Katholiken zum Heiligen Jahr bereits im Vorfeld auf Widerstand stieß und Anfeindungen ausgesetzt war. Höhepunkt der Jubiläumsveranstaltung war der Gang durch die Heilige Pforte des Petersdoms am 6. September. Neben nicht-heterosexuellen Menschen, die sich als lesbisch, schwul oder queer identifizieren, nahmen auch Familienangehörige, Freunde und Seelsorger teil.
Päpstliche Bekenntnisse sind das eine. Üble Nachrede, offen ausgetragene oder versteckte Anfeindungen und Querschüsse das andere.
Bei einer Abendandacht in der Jesuitenkirche Il Gesù, geleitet vom stellvertretenden Vorsitzenden der Italienischen Bischofskonferenz, Francesco Savino, nahm auch der US-amerikanische Jesuit und LGBTQ+-Aktivist James Martin mit seinem Verein »Outreach« teil. Am 1. September wurde er von Papst Leo in Privataudienz empfangen: »Es war sehr tröstlich und sehr ermutigend ( . . .). Ich habe von Papst Leo die gleiche Botschaft gehört wie von Papst Franziskus über die Aufnahme von LGBTQ-Menschen. ( . . .) Er möchte, dass sich jeder in der Kirche willkommen fühlt. (. . .) Sein Umgang mit LGBTQ-Katholiken ist eine Fortsetzung des Erbes von Papst Franziskus.«
Bischof Savino verglich das Ereignis im Vorfeld mit einer Glocke, »die in der ohrenbetäubenden Stille der Ausgrenzung erklingt«. Dies sei ein klares, starkes und unumkehrbares Signal, das daran erinnere, dass das Evangelium kein Manifest für einige Auserwählte sei, sondern ein Liebesbrief an die gesamte Menschheitsfamilie: »Die Schwächsten und Ausgegrenzten aufzunehmen ist kein Akt freiwilliger Wohltätigkeit, sondern eine Erklärung der kirchlichen Identität: Wenn die Kirche diese Kinder nicht annimmt, ist sie nicht die Kirche des Evangeliums«.
Ich habe Jim 2024, als ich in den USA mein Tertiat absolvierte, kennengelernt. Franziskus machte ihn in den vergangenen Jahren zu seinem Berater. In der Jesuitenkurie am Borgo Santo Spirito, einen Steinwurf vom Petersplatz entfernt, ließen queere Katholikinnen und Katholiken aus aller Welt an Erfahrungsberichten teilnehmen lassen. Sie nahmen auch am sonntäglichen Angelus-Gebet von Papst Leo XVI. (7. September) teil.
. . . – und à la Leo XIV.
Der neue Papst hat sich bisher öffentlich nicht zum Thema Homosexualität und Kirche geäußert.
Nach wie vor umstritten in der katholischen Kirche und von manchen Bischöfen offen abgelehnt: die Erklärung »Fiducia supplicans« des Dikasteriums für die Glaubenskehre vom Dezember 2023, approbiert von Papst Franziskus. Mit einer gewundenen Argumentation (und eine Erläuterung musste kurz nach der Veröffentlichung nachgeliefert werden) wurde darin die Segnung gleichgeschlechtlich Lebender und Liebender unter besonderen Umständen erlaubt. Die wiederum kurios anmuteten: Denn wer von dieser Kirche (noch) etwas will, weiß, worum er oder sie bittet. Diesen Menschen zu unterstellen, sie könnten die Segnung als quasisakramentale Handlung missverstehen (»Sakramentensimulation«), ist an den Haaren herbeigezogen.
Neue Sichtbarkeit
Unter den 1000 Teilnehmenden der LGTB+-Wallfahrt aus 30 Ländern (manche Quellen sprechen von 1400) waren auch zwei deutsche Seelsorger: der Münchener Pastoralreferent und Queerseelsorger Gerhard Wachinger und aus Langenargen am Bodensee Pfarrer Armin Noppenberger von der Seelsorgeeinheit Seegemeinden. Für beide ist die Wallfahrt keine Protestaktion, sondern ein Glaubenszeugnis: Queere Katholiken sind keine Gläubigen zweiter Klasse. Während Wachinger von einem »Meilenstein« und einem »Lernprozess« des Vatikans spricht, sieht Noppenberger noch Luft nach oben. Denn die Wallfahrt schien im Dezember 2024 kurz im offiziellen Kalender des Vatikans zum Heiligen Jahr auf, wurde dann aber gestrichen – und bestimmte Medien beeilten sich zu betonen, dass die Wallfahrt »keine offizielle Vatikan-Veranstaltung« ist: »Wenn LGBTQ dann im offiziellen Kalender steht, wäre das ein Zeichen reflektierter Normalität«. Den Gang durch die Heilige Pforte sieht er als Zeichen an: »Unsere Identität ist nicht sündhaft (. . .). Das Tor für queere Menschen ist lehramtlich noch eng. Gemeinsam können wir beim Durchschreiten der Heiligen Pforte im Petersdom zeigen, wo Rahmen reißen und Türen sich öffnen.«
Immerhin: Auf der Website der Jesuitenkirche Il Gesù war der abendliche Gottesdienst mit Bischof Sabino angekündigt: »In occasione del Pellegrinaggio internazionale per cristiani LGBT+ e i loro genitori; persone conviventi, divorziate e gli operatori pastorali: ›Chiesa Casa per Tutti, a partire dalle frontiere!‹«
Andrea Ribera, Sprecher der Initiative »Cammini di speranza« wies darauf hin, dass sich Diözesen in Afrika, Nordamerika und einigen teilen Europas immer noch sehr verhalten verhielten und schwer täten, queere Katholiken zu akzeptieren. Sie seien aber Teil der Gemeinschaft. Viele Teilnehmenden äußerten die Hoffnung, dass sich unter dem neuen Pontifex etwas ändert: Eine Teilnehmerin: : »Ich habe Hoffnung. Denn so viele Menschen mussten sich in den letzten Jahren verstecken, unsichtbar sein, im Schatten leben«. In einem Video der Organisatoren der Pilgerreise gab es Verhaltenstipps: »Es ist ein Moment des Gebets, keine Maskenparty. Ironische Verkleidungen und Festival-Outfits sind wunderschön, aber für diesen Anlass nicht geeignet.«
Neue Sichtbarkeit: Das ist schon etwas! Ob manche Wallfahrer, nach entsprechenden Gebeten, einer Beichte und dem Durchschreiten der Heiligen Pforte im Petersdom einen Ablass empfangen haben? Den bräuchten vielleicht mehr diejenigen, die gleichgeschlechtlich Lebende und Liebende nicht nur schräg anschauen, sondern offen diskriminieren – was in Teilen der katholischen Kirche nach wie vor der Fall ist.