Jedes Jahr, einige Tage vor Weihnachten, die Anspannung: Wie wird es diesmal sein – Zuckerbrot oder Peitsche? Wird der Papst (an-)klagen, mahnen, aufrütteln, demaskieren, dreinschlagen – oder wird er aufbauen: in seiner Weihnachtsansprache an die Römische Kurie?

Der Würzburger Pastoraltheologe Erich Garhammer hat seinerzeit in einem Buch die Ansprachen von 2013 bis 2017 analysiert: »Der Chef« und im Untertitel deutlich gemacht, wie er diese Ansprachen einschätzt: »Die jährliche Therapie an Weihnachten« (Würzburg: Echter Verlag 2018, 154 S.).

Hören – unterscheiden – sich bewegen

Und wie war es an diesem Morgen (21.12.2023) im Vatikan? Franziskus kam auf drei Tunwörter zu sprechen: »Hören, unterscheiden, sich bewegen: drei Verben für unseren Glaubensweg und für den Dienst, den wir hier in der Kurie tun.« Er illustrierte, was er damit meint, indem er auf Maria, Johannes den Täufer und die Sterndeuter zeigte. Er zitierte dabei Benedikt von Nursia und vier Jesuiten: Ignatius von Loyola, Kardinal Carlo Maria Martini und Michel de Certeau.

Deutlich wurde der Papst hier: »Manchmal laufen wir auch in der Kommunikation untereinander Gefahr, uns wie reißende Wölfe zu verhalten: Wir versuchen sofort, die Worte des anderen zu verschlingen, ohne wirklich zuzuhören, und stülpen ihm sofort unsere Eindrücke und Urteile über. Einander zuzuhören erfordert stattdessen eine innere Stille, aber auch einen Raum der Stille zwischen dem Hören und dem Antworten. Zuerst hören wir zu, dann nehmen wir in Stille auf, reflektieren, interpretieren und erst dann können wir eine Antwort geben. All das lernen wir im Gebet, denn es weitet das Herz, holt unseren Egozentrismus von seinem Sockel, erzieht uns dem anderen zuzuhören und bewirkt in uns die Stille der Kontemplation. Wir lernen die Kontemplation im Gebet, kniend vor dem Herrn, aber nicht nur mit den Beinen kniend, sondern mit dem Herzen! Auch in unserer Arbeit als Kurie ›müssen [wir] ihn jeden Tag anflehen, seine Gnade erbitten, dass er unser kaltes Herz aufbreche und unser laues und oberflächliches Leben aufrüttle. […] Dazu ist es notwendig, einen kontemplativen Geist wiederzuerlangen, der uns jeden Tag neu entdecken lässt, dass wir Träger eines Guten sind, das menschlicher macht und hilft, ein neues Leben zu führen. Es gibt nichts Besseres, das man an die anderen weitergeben kann‹ (Evangelii gaudium, 264).

Die Kunst des Hörens lernen und den Wert der Beziehungen wiederentdecken

Und weiter: »Brüder und Schwestern, auch in der Kurie muss man die Kunst des Hörens lernen. Noch vor unseren täglichen Pflichten und Tätigkeiten, vor allem noch vor den Positionen, die wir bekleiden, müssen wir den Wert der Beziehungen wiederentdecken und versuchen, sie von Formalismen zu befreien und sie mit dem Geist des Evangeliums zu beleben, vor allem indem wir einander zuhören. Mit dem Herzen und kniend. Hören wir aufeinander, ohne Vorurteile, mit Offenheit und Aufrichtigkeit; mit einem geneigten Herzen. Hören wir einander zu und versuchen wir, das, was unser Bruder sagt, sowie seine Bedürfnisse und in gewisser Weise sein Leben zu verstehen, das sich hinter jenen Worten verbirgt – ohne zu urteilen.«

Unterscheidung der Geister

»Für uns alle ist also die Unterscheidung wichtig, diese Kunst des geistlichen Lebens, die uns von der Anmaßung befreit, schon alles zu wissen; von der Gefahr, zu glauben, es reiche aus, die Regeln anzuwenden; von der Versuchung, auch im Leben der Kurie, einfach nach den immer selben Mustern vorzugehen, ohne zu bedenken, dass das Geheimnis Gottes uns immer übersteigt und dass das Leben der Menschen und die Wirklichkeit, die uns umgibt, den Ideen und Theorien immer überlegen sind und bleiben. Wir müssen uns in der geistlichen Unterscheidung üben, den Willen Gottes erforschen, die inneren Regungen unseres Herzens hinterfragen, um dann die zu treffenden Entscheidungen abzuwägen. (…) Die Unterscheidung muss uns auch bei der Arbeit an der Kurie dabei helfen, dem Heiligen Geist zu folgen, so dass wir in der Lage sind, Wege zu wählen und Entscheidungen zu treffen, die nicht weltlichen Kriterien folgen oder einfach nur auf der Anwendung von Vorschriften beruhen, sondern dem Evangelium entsprechen.«

Auf die Sterndeuter hinweisend, die sich zur Krippe nach Bethlehem aufmachten, fuhr Franziskus fort: »Sie erinnern uns daran, wie wichtig es ist, sich auf den Weg zu machen. Wenn wir die Freude des Evangeliums wirklich annehmen, löst sie in uns die Bewegung der Nachfolge aus, indem sie ein echtes Herausgehen aus uns selbst bewirkt und uns aufbrechen lässt zur Begegnung mit dem Herrn und zur Fülle des Lebens. Der christliche Glaube – denken wir daran –  möchte uns nicht in unseren Sicherheiten bestärken; er möchte nicht, dass wir es uns in oberflächlichen religiösen Gewissheiten bequem machen; und er möchte uns auch keine schnellen Antworten auf die komplexen Probleme des Lebens geben. Im Gegenteil, wenn Gott ruft, setzt er immer in Bewegung, so wie es bei Abraham, bei Mose, bei den Propheten und bei allen Jüngern des Herrn der Fall war.«

Wachsamkeit gegenüber ideologischer Fixiertheit

Für die Kurie bedeutete das: »Auch im Dienst hier in der Kurie ist es wichtig, in Bewegung zu bleiben; nicht aufzuhören, die Wahrheit zu suchen und zu vertiefen; die Versuchung zu überwinden, stehen zu bleiben und innerhalb unserer umhegten Bereiche und Ängste ›herumzuirren‹. Ängste, Starrheit und schablonenhafte Wiederholung erzeugen eine Unbeweglichkeit, die den scheinbaren Vorteil hat, keine Probleme zu schaffen – quieta non movere –, sie führen dazu, dass wir uns in unseren Labyrinthen im Kreis drehen, worunter dann der Dienst für die Kirche und die ganze Welt leidet, zu dem wir berufen sind. Und bleiben wir wachsam gegenüber einer ideologischen Fixiertheit, die uns oft unter dem Deckmantel guter Absichten von der Wirklichkeit trennt und an der Bewegung hindert. Stattdessen sind wir gerufen, wie die Sterndeuter aufzubrechen und uns auf den Weg zu begeben, dem Licht zu folgen, das uns immer weiterführen will und uns manchmal dazu bringt, unerforschte Pfade zu suchen und neue Wege zu beschreiten. (. . .)

Wenn also der Dienst, den wir tun, Gefahr läuft, zu verflachen, sich in Starrheit oder Mittelmäßigkeit zu verlieren, wenn wir uns in den Netzen der Bürokratie verfangen haben und uns so durchs Leben schlagen, sollten wir uns daran erinnern, nach oben zu schauen, von Gott her neu anzufangen, uns von seinem Wort erleuchten zu lassen, um immer wieder den Mut zum Neuanfang zu finden. Aus Labyrinthen findet man nur ›von oben‹ heraus.

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