»Er macht, was er will! Das ist der Punkt, in dem sich alle immer einig waren, wenn sie über Franziskus urteilten, seine Kritiker und seine Fans. Nur der Ton, in dem sie das Urteil fällten, war unterschiedlich: missbilligend die einen, begeistert die anderen« – so Evelyn Finger in ihrem jüngsten Artikel mit dem Titel »Und warum tritt er nicht zurück?« (DIE ZEIT, Nr. 16/2025, S. 52).
Wieder da, aber kaum sichtbar . . .
Claudia Möllers (Münchner Merkur, 17.04.2025, S. 2) schreibt: »Er ist da, aber kaum sichtbar.« Nach 38 Tagen in der Gemelli-Klinik, in denen er zwei Mal dem Tod buchstäblich von der Schippe sprang, ist Franziskus wieder zurück. Dass er es nicht lange in seinem Appartment aushalten und Massen meiden würde, konnte man erahnen. Und wurde, wie zu erwarten, überrascht: Als er sich ohne Soutane kurz im Petersdom blicken ließ (»Der Papst in Zivil«), als er das britische Königspaar, das sich aus Anlass seines 20. Hochzeitstages in Italien aufhielt, doch in Privataudienz empfing, als er in Santa Maria Maggiore betete und Blumen hinterlegte, als er am Palmsonntag kurz auf dem Petersplatz auftauchte, als er Ärzte und medizinisches Personal der Gemelli-Klinik empfing, um sich zu bedanken.
Das Atmen fällt Franziskus schwer. Das Sprechen fällt ihm schwer. Aber sein Zustand hat sich deutlich verbessert. Und trotzdem: »Er macht, was er will – und polarisiert.«
. . . und doch zu sehen
Die Debatte, ob ein Papst seine Hinfälligkeit, sein Angewiesensein auf Hilfe zeigen darf, ist voll entbrannt. Ich halte sie für maßlos übertrieben. Und für anmaßend.
Wer der Aura der Unnahbarkeit nachtrauert, die einen Papst früher umgab – eine Aura, die Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt endgültig zerstört hat –, stößt sich an einem um Atem ringenden, sich nur wenige Worte sprechen könnenden Pontifex. Von Tag zu Tag verbessert sich zwar sein Zustand. Aber gebrechlich, gefährdet bleibt Franziskus. Na und? Soll er sich verstecken, bis er wieder »fit« ist? Und was heißt das bei einem, der im 89. Lebensjahr steht? Taugen Vergleiche mit den letzten Lebensmonaten von Johannes Paul II.? Müssen die kurzen Auftritte und Abstecher von Franziskus als »Affront gegen das Papstamt« gelesen und gewartet werden? Als Respektlosigkeit? »Er ist doch nicht irgendein Oldtimer«?
Solche Äußerungen reden einer Re-Auratisierung das Wort. »Wir erleben vielleicht«, so ein Kommentar in der Wiener Kirchenzeitung »Der Sonntag« (Nr. 16/2024, S. 20), »so etwas wie die fortschreitende Entmystifizierung des päpstlichen Leibes. Aber wir sollten nicht fragen, was wir verlieren, sondern was wir damit gewinnen: einen Menschen, der seine Verwundbarkeit zeigt.«
Jesus in den Gewändern seiner Nachfolger oder: Franziskus im Unterhemd – eine Erinnerung an Gottfried Bachl
Am Karfreitag erinnern wir an den Leidensweg Jesu. Der am Kreuz jämmerlich verreckte. Auch Franziskus leidet. Oft kann er seine Schmerzen schwer verdecken. Aber er macht weiter. Und wird genau damit auch zu einem Hoffnungsträger – für alle, deren Menschenwürde nicht am strahlenden Lächeln und an körperlicher Unversehrtheit hängt. Und wenn er mal »so« daherkommt?
In seinem auf Vorträge bei den Salzburger Hochschulwochen zurückgehenden Buch »Der schwierige Jesus« (1994) hat der Dogmatiker Gottfried Bachl auch ein »Plädoyer für die Freilassung Jesu« eingebaut. Jesus freilassen hieße für Bachl unter anderem: »die Umklammerung des Schönheitstriebes lockern, der ihm die ausgesuchtesten Messgewänder verpasst, die ihn von den Plätzen des Unordentlichen, der Cholera und der Krätze vertreiben«.
Ich denke dabei an Papst Franziskus. Und an die Entrüstung über sein »Outfit«, neulich, im Petersdom. War’s ein T-Shirt, ein Unterhemd oder ein Rollkragenpulli? Du meine Güte! Darf er sich nicht ganz normal zeigen, abgesehen davon, dass dieser Abstecher sicher ein ganz spontaner, ungeplanter Einfall war?
Klar im Kopf ist er. Langsamer halt. Aber warum sollte Franziskus deswegen zurücktreten? Er wird es tun, wenn er meint, das stünde an. Und wenn er das deutliche Gefühl hat, das sei der Wille Gottes. Aber nicht, weil Besserwisser im Vatikan oder in München, an klerikalen Stammtischen mit dem Anspruch unfehlbarer Deutungshoheit, befinden: Time to say goodbye.
Die promovierte Pastoralreferentin Judith Müller, die für das Erzbischöfliche Ordinariat München (EOM) Entwicklungs- und Veränderungsprozesse in Pfarreien, Seelsorgerteams und kirchlichen Einrichtungen begleitet und fördert, hat mich an diese Stelle bei Bachl erinnert, ebenfalls in »Der schwierige Jesus«: »Um zu entdecken, wie nackt Jesus war, ist es hilfreich, ein Phantasieexperiment zu machen, nicht flüchtig, nicht nur im Seitenblick, sondern mit ausdauernder Anschaulichkeit. Wir sollten uns Jesus in den amtlichen Kleidern seiner Kirchen vorstellen: Jesus als römischer Papst, im großen Ornat dieses Amtes, mit der Tiara, der Mitra, dem Hirtenstab, dem Fischerring am Finger, im weißen Talar, im Glanz des Primates und der Unfehlbarkeit, Jesus als Metropolit, als ökumenischer Patriarch, als Superintendent, als Erzbischof, als Hausprälat, als Monsignore, Jesus als Kardinal, Jesus als Titelträger: Hochwürden Jesus, seine Heiligkeit Jesus, seine Exzellenz, seine Eminenz, der Geistliche Rat Jesus. Ich gerate mit der Aufzählung dieser Möglichkeiten in die Nähe des Kabaretts. Alle lachen bei solchen Vorstellungen. Einige werden sagen, es sei theologisch ungehörig, hier sei Differenzierung am Platz. Andere werden es übel nehmen und lieber verbieten wollen, weniger, weil sie um den Namen Jesu besorgt sind, sondern weil sie darin eine Attacke auf die hierarchische Kirche erblicken. Aber ich bleibe bei der Frage: Warum lachen die meisten bei dieser Vorstellung, warum rümpfen theologisch Gebildete die Nase, warum möchten kircheneifrige Katholiken sie untersagen? Warum passt Jesus so schlecht in das Gewand seiner Stellvertreter, wie sie sich gern nennen? So ganz unangebracht ist der Versuch nicht, Jesus die Tracht seiner Kirche anprobieren zu lassen, um zu sehen, wie sie sich ausmacht an ihm. Denn die Kirche ist es, die unermüdlich behauptet, dass sie nahtlos zum Willen Jesu passt, ihm mit Amt und Institution entspricht. Vielleicht zeigt sich in dem plumpen Kleiderspiel etwas, das sonst nicht zu entdecken ist, gerade in den gelehrten Darstellungen des Zusammenhanges zwischen Jesus und Kirche gar nicht bemerkt wird.«
Ob Jesus die Nase gerümpft hätte über die kurze Episode im Petersdom? Wohl kaum.