Am 27. November bricht Papst Leo XIV. zu seiner ersten Auslandsreise auf, die ihn in die Türkei (27.–30.11.) und in den Libanon (30.11.–02.12.) führt.

Von Istanbul aus wird er am Freitagnachmittag (28.11.) mit dem Helikopter einen Abstecher nach İznik machen, wo vor 1700 Jahren das erste ökumenische Konzil stattfand. Um 13:30 h (15:30 Ortszeit) soll es dort ein ökumenisches Gebetstreffen in der Nähe der archäologischen Ausgrabungen der antiken Basilika St. Neophyt geben, bei welcher Leo eine Ansprache hält, bevor es nach einer Stunde zurück nach Istanbul geht.

Ein Schreiben zum 1700. Jahrestag des Konzils von Nizäa

Fünf Tage vor Beginn der Reise hat Leo am Christkönigsonntag (23. November) ein Apostolisches Schreiben veröffentlicht: »In unitate fidei« (In der Einheit des Glaubens), mit dem er an das erste ökumenische Konzil vor 1700 Jahren erinnert – in Nizäa/Nikaia, heute İznik.

Schon im Titel kommt ein Programmwort seines Pontifikates zur Sprache: Einheit (unitas). Die Einheit des Glaubens, ökumenische Einheit in Verschiedenheit, ist gemeint. Was, wie der letzte von 12 Abschnitten erklärt, nicht »Rückkehrökumene zum Zustand vor den Spaltungen« bedeuten kann, »auch keine Anerkennung des aktuellen Status quo der Vielfalt von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaft« bedeuten kann, sondern vielmehr eine Zukunftsökumene der Versöhnung auf dem Weg des Dialogs, des Austauschs unserer Gaben und geistlicher Schätze«. Eine deutliche Ansage: »Die Wiederherstellung der Einheit unter den Christen macht uns nicht ärmer, vielmehr bereichert sie uns.«

Leo verknüpft das Konzilsjubiläum mit einem anderen Jahrestag und stellt damit eine Verbindung zu der vor 30 Jahren erschienenen Enzyklika »Ut unum sint« (25. Mai 1995) von Johannes Paul II. her: »Sie kann als Manifest gelten, welches die durch das Konzil von Nizäa gelegten ökumenischen Grundlagen erneuert hat.«

Das erste ökumenische Konzil ist das bis heute gültige, allen späteren Spaltungen vorausliegende gemeinsame Bekenntnis aller Christen: Jesus ist Gottes Sohn. Sich darauf neu zu besinnen, ist eine große ökumenische Chance. Spannend bleibt, wie die tags darauf, am 29. November, angekündigte gemeinsame ökumenische Erklärung mit dem Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios, ausschauen wird, der als enger Freund von Papst Franziskus nicht nur bei dessen Requiem, sondern auch zur Amtseinführung des neugewählten Papstes nach Rom gekommen war, um seine Verbundenheit auszudrücken.

Jesus ist Gott – »wesensgleich« oder: Die Zeitbombe »homooúsios/consubstantialis«

»Im Vorfeld meiner Apostolischen Reise in die Türkei möchte ich mit diesem Schreiben die ganze Kirche zu neuem Schwung beim Bekenntnis des Glaubens ermutigen, dessen Wahrheit seit Jahrhunderten das gemeinsame Erbe der Christen darstellt und es verdient, stets in neuer und aktueller Form bekannt und vertieft zu werden.« (Nr. 1) Aber wie?

Papst Leo erinnert zunächst an das umfangreiche, im April 2025 erschienene Dokument »Jesus Christus, Sohn Gottes, Erlöser. 1700. Jahrestag des ökumenischen Konzils von Nizäa« der Internationalen Theologenkommission (ITK). Es biete »nicht nur in theologischer und kirchlicher, sondern auch in kultureller und sozialer Hinsicht nützliche Perspektiven für die Vertiefung und Bedeutung der Aktualität des Konzils von Nizäa« (Nr. 1). Er bietet dann einen Schnellkurs in Sachen Theologie- und Konziliengeschichte (Nr. 3 bis 6), indem er in leicht verständlichen Worten die seinerzeitige Problematik erklärt: Die Position des alexandrinischen Prebyters Arius und seiner Anhänger, der Arianer, und der Suchbewegungen auf dem Konzil.

Jesus als Gottes Sohn – das »ist das Herz des christlichen Glaubens«, ja so etwas wie der Personalausweis der Christen. Jesus: kein Zwischen- oder Zwitterwesen, sondern »wahrer Gott und wahrer Mensch«, wie später das Konzil von Chalcedon (451 n. Chr.) ergänzend definieren wird. In Nizäa wurde ein Terminus eingeführt, der sich nicht in der Bibel findet, philosophisch konnotiert ist und deswegen nach Abschluss des Konzils weitere Kontroversen auslöste: »homooúsios/consubstantialis«. Jesus ist wesensgleich, eines Wesens mit dem Vater. Nicht wesensähnlich (homoíousios), sondern wesensgleich. Leo erklärt: »Positiv ausgedrückt: Die Väter von Nizäa wollten dem biblischen Monotheismus un dem Realismus der Menschwerdung ganz treu bleiben.« (Nr. 5)

Dafür musste es die These von Arius zurückweisen (Jesus als »zweiter Gott«) und plausibilisieren, wie das zu verstehen ist: Ein Gott, drei Personen, ein Wesen, zwei Naturen. Das ist mehr als Mathematik: »Das Bekenntnis von Nizäa formuliert keine philosophische Theorie.« (Nr. 7) Leo benennt klar, dass der neue Terminus »nicht biblische Aussagen durch griechische Philosophie ersetzen« (Nr. 5), sondern ergänzen und klären wollte. Gleichwohl: »Der Begriff homooúsios wurde zum Zankapfel zwischen Nizänern und Antinizänern und löste damit weitere schwere Konflikte aus.« (Nr. 8) Deshalb musste auf dem Konzil von Konstantinopel (381 n. Chr.) nachgebessert werden – bis heute sprechen wir deswegen vom »Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis«. Es wurde gut 70 Jahre später auf dem Konzil von Chalcedon für »universal verbindlich« erklärt, wie Leo in Erinnerung ruft (Nr. 8).

Eine päpstliche Gewissenserforschung

Damit macht er auch deutlich, dass es 1700 Jahre später nicht nur um eine historische Rückschau geht. Eben weil die auf diesem Konzil gefundene Lösung mitnichten eine »verstaubte Reliquie im Depot der Dogmengeschichte« sein kann, wie der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück beklagte. Mit Papst Leos Worten: »Was wir mit dem Mund aussprechen, muss aus dem Herzen kommen, damit es im Leben bezeugt wird. Wir müssen uns fragen: Wie steht es heute mit der inneren Rezeption des Credos? Spüren wir, dass es auch unsere heutige Situation trifft? Verstehen wir und leben wir, was Sonntag für Sonntag sagen, und was bedeutet das, war wir sagen, für unser Leben?« (Nr. 9)

Mit diesen Fragen bringt er es auf den Punkt: »Das Glaubensbekenntnis von Nizäa lädt uns also zu einer Gewissenserforschung ein.« (Nr. 10) Glauben wir wirklich, was das Konzil definierte, oder behaupten wir es nur? Jede Zeit muss ihre Antwort finden. Und diese Antwort ist ein Bekenntnis. Insofern muss es erschrecken, wenn Kirchenuntersuchungen ergeben, dass gerade noch ein Drittel der Kirchenmitglieder (!) in unseren Breitengraden der Aussage zustimmt: »Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat.« Engel, Marienerscheinungen, Privatoffenbarungen, positive Energie sind auch für viele Christen wichtiger als das zentrale Bekenntnis zu Jesus dem Christus, eins, nämlich wesensgleich, mit dem Vater.

Kein Christentum ohne Christus

Hier besteht theologischer, liturgischer und katechetischer Nachholbedarf. Denn ein Christentum ohne Christus ist nicht möglich. Es ist ein amputierter, ein sinnloser Glaube. Jan-Heiner Tück hat Recht: »Hinter die Punktsetzung von Nizäa können wir nicht zurück, aber wir müssen sie neu erschließen.« Der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn wiederum benannte das Problem, das dabei zu lösen ist: »Der Klärungsbedarf altkirchlicher Konzilstexte ist höher als ihr Erklärungspotenzial. Die hinter diesen Texten stehenden christologischen Probleme und theologischen Kontroversen müssen nämlich mit erheblichem Aufwand heute erst wieder erzeugt werden, ehe die Konzilstexte als deren Lösung präsentiert werden können. Bei der Erläuterung der Problemlösung ist man vor allem mit dem Problem konfrontiert, dass semantische Barrieren und Blockaden die Akzeptanz der Lösung erschweren.«

Kaiser Konstantin, selbst noch gar nicht getauft, hat das Konzil seinerzeit einberufen. Er zitierte Bischöfe nach Nizäa, nicht weil er theologisch interessiert war, aber weil er erkannte, dass der schwelende Disput nicht nur die Einheit seines Reiches bedrohte, sondern ans Mark christlichen Glaubens reichte und dessen Identität bedrohte.

Das Apostolische Schreiben von Leo XIV. hilft. Es klärt und erklärt. Und es inspiriert. Die bleibende Frage zu allen Zeiten lautet: Wer ist Jesus Christus für mich? Heute? Nicht: Was sagen die Anderen, sondern: Was sage ich? Was glaube ich?