Für mich zu Fuß in 15 Minuten erreichbar: In den letzten acht Wochen war ich wiederholt bei den Borromäerinnen im »St. Charles«, einem Pilgerhospiz, um Eucharistie zu feiern. Das St. Charles liegt in der »German Colony« (HaMoshava HaGermanit) – heute eines der »angesagtesten« Stadtviertel Jerusalems.
Auf dem Weg dorthin entdecke ich neulich an einer Bushaltestelle ein Plakat, das den Tempelberg (al-Haram asch-Scharif) zeigt. Eine Panorama-Sicht: der Felsendom (qubbat as-sachra) mit dem Kettendom (qubbatu ’s-silsila) und die Al-Aqsa-Moschee (al-masdschid al-aqcsa).
1984 konnte ich diese Heiligen Stätten noch besichtigen. Seit der zweiten (Ende September 2000 durch Ariel Scharon ausgelösten) Intifada dürfen sie Nicht-Muslime nicht mehr betreten. Mit Ende der Intifada (durch ein Friedensabkommen zwischen Palästinensern und Israel im Februar 2015) ist der Besuch des Berges wieder erlaubt. Der Eintritt in die Gebäude ist für Nicht-Muslime jedoch nach wie vor verboten. Juden werden oft nur in kleinen Gruppen oder unter Aufsicht aufs Gelände gelassen, ausnahmslos übers Marokkaner-Tor. Zugangsbeschränkungen aus Sicherheitsgründen gelten besonders während des Ramadans. Auch für Muslime, die älter als 30 sind. Weitere Auseinandersetzungen sollen so verhindert werden.
Das Plakat am Beginn von HaMoshava HaGermanit wurde beschmiert: »Baut den Tempel wieder auf (Build the Temple)«. Jemand anderer hat die Aufforderung ins Gegenteil verkehrt: »Don’t …«.
Immer wieder fordern radikale jüdische Gruppen, dass dort, wo einmal der zweite jüdische Tempel stand, dieser wieder aufgebaut werden soll. Im Jahr 70 n. Chr. ist er von römischen Truppen geplündert, in Brand gesetzt und zerstört worden. Wieder aufbauen: Zuvor müssten dafür der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee abgerissen werden. Selbst angesehene Rabbiner, ebenso wie der Großteil der Bevölkerung Israels, lehnen das ab.
Aufbauen – und abbauen: Was nützen Tempel, Moscheen oder Kirchen, wenn gleichzeitig andernorts Mauern und Grenzwälle errichtet werden? Wozu (und wofür) an Heiligen Stätten beten, wenn an Orten des täglichen Lebens eine ganz andere Sprache gilt? Mauern (zuerst) abbauen, (dann) Heilige Orte aufbauen: eine fromme Illusion?