Seit neun Jahren, immer wieder: da ein Vorwort, dort ein Geleitwort, da ein Kommentar, dort ein Rückblick, ein Interview, eine Wortspende, ein Lächeln in die Kamera, ein Prosit für bayerische Gebirgsschützen.

Wer daran erinnert, dass sich Papst Benedikt XVI. ‒ nach Cölestin V. (1294) erst der zweite Bischof von Rom, der freiwillig auf sein Amt verzichtete und damit Geschichte schrieb (2013) – zurückziehen wollte, das Geschehen der Kirche betend und schweigend begleiten wollte, zieht die Blitze eines Privatsekretärs auf sich, der kurz vor Amtsende von seinem Chef noch zum Erzbischof ernannt wurde. Oder handelt sich Ärger mit einem Biographen ein, der dann mit der oft bemühten Chimäre von der »sprungbereiten Feindseligkeit« der deutschen Presse aufwartet.

Die Stimme aus dem »Austragshäusl«

Keiner wollte oder will den ehemaligen Papst mundtot machen oder tot sehen. Am Ende seiner Amtszeit unübersehbar erschöpft, ausgelaugt, ja fast hinfällig, hat er sich in den letzten Jahren, befreit von der Last des Amtes, erholt. Er ist einfach alt. Aber offenbar wach, interessiert, teilnehmend, ob man nun meint, ihm das Epitheton »Jahrhunderttheologe« oder »Theologenpapst« anhängen zu müssen oder nicht.

Bekanntlich ist übrigens selbst die Bezeichnung »emeritierter Papst« (papa emerito) kanonistisch nicht unproblematisch. Emeritierte Professoren behalten Rechte, haben aber keine Pflichten mehr. Wir haben einen ehemaligen Papst, der seinen wohlverdienten Ruhestand im Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan verbringt, das er selbst mit dem bayerischen »Austragshäusl« verglich.

Mehrmals habe ich nun die jüngste Veröffentlichung gelesen, in der August-Ausgabe der Herder-Korrespondenz (8/2021, S. 13-18). Joseph Ratzinger blickt auf seinen ersten Einsatz als Neupriester in München-Bogenhausen (Pfarrei Heilig Blut) von September 1951 bis Frühsommer 1952 zurück – seine einzige Seelsorgestelle. Auf schriftliche Fragen antwortete er schriftlich. Berührend und biographisch durchaus interessant, was er zum Stadtpfarrer Max Blumschein sagt, zu den beiden NS-Opfern Josef Wehrle und Alfred Delp SJ, auch wenn er nicht richtig damit liegt, dass »wohl Vorbereitungen zur Seligsprechung« im Gang wären »– so viel ich weiß«. Der junge Priester war krankheits- und urlaubsbedingt auf sich allein gestellt, er vermisste Führung und war weitgehend überfordert.

Einmischung, Kritik, Irritation?

Aufsehen erregte der Beitrag, weil der ehemalige Papst auf seine Freiburger Konzerthausrede (September 2012) zu sprechen kommt: ob der dabei verwendete Begriff »Entweltlichung«, seinerzeit heftig kritisiert, »klug gewählt« gewesen sei. Er verbindet den Ausdruck mit Erfahrungen in Bogenhausen und Moosach, außerdem mit seinem Artikel »Die neuen Heiden und die Kirche«, der in der Zeitschrift Hochland (1958) veröffentlicht wurde. Und: Er kritisiert die deutsche Kirche. Der Theologe Daniel Bogner, der an der Universität Fribourg (Schweiz) lehrt, hält diese Aussagen für »bestenfalls naiv«:

»Man hat das Wort von der Amtskirche gebildet, um den Gegensatz zwischen dem amtlich Geforderten und dem persönlich Geglaubten auszudrücken. Das Wort Amtskirche insinuiert einen inneren Widerspruch zwischen dem, was der Glaube eigentlich will und bedeutet, und seiner Entpersönlichung.« Und weiter: »Was die Kirche von Amts wegen sagen muss, sagt ein Amt, nicht eine Person. Solange bei kirchenamtlichen Texten nur das Amt, aber nicht das Herz und der Geist sprechen, so lange wird der Auszug aus der Welt des Glaubens anhalten.  Deshalb schien es mir damals wie heute wichtig, die Person aus der Deckung des Amts herauszuholen und ein wirkliches persönliches Glaubenszeugnis von den Sprechern der Kirche zu erwarten.«

Si tacuisses philosophus mansisses

Was ist damit insinuiert, für heute? Man darf alles so sehen und sagen und schreiben. Aber bitte nur im privaten Rahmen, nicht öffentlich. Sonst muss Boëthius bemüht werden: »Si tacuisses …«.

Chefredakteur Volker Resing sprach in einem Interview mit dem Kölner Domradio (26. Juli 2021) zu Hintergründen des schriftlich geführten »Gesprächs«. Aber ich weiß schon, dass ich damit wieder der geistigen Knebelung bezichtigt werde. Der Umgang mit ehemaligen Päpsten ist gewöhnungsbedürftig. Leider wurden die letzten Jahre nicht genutzt, jedenfalls nicht sichtbar, um Licht in offene oder ungeklärte Fragen zu bringen. Jeder Kommentar zu aktuellen Fragen und Problemen der Kirche wird so oder so als Kommentar zum Nachfolger gelesen werden müssen.

Gegenüber seinem Biographen meinte Benedikt im November 2018: »Die Behauptung, dass ich mich reglmäßig in öffentliche Debatten einmische, ist eine bösartige Verzerrung der Wirklichkeit.« (Peter Seewald, Benedikt XVI. Ein Leben. München 2020, S. 1078)