Lesenswert, ja unbedingt zu empfehlen ist dieser Artikel von Philippa Rath OSB in der jüngsten Ausgabe der Herder Korrespondenz (9/2022, S. 13–17). Denn er legt den Finger in die Wunden, was nicht allen gefallen wird, aber er ist anregend, entwaffnend ehrlich, perspektivenreich. Es führt einfach kein Weg an einer offenen, fairen Debatte vorbei.
Mehr als bloße Schönheitsreparaturen und Lippenbekenntnisse
Die streitbare Ordensfrau erinnert zunächst daran, warum der Synodale Weg auf den Weg gebracht wurde: »Wir haben verstanden« hallt als Echo auf die verheerende MHG-Studie über sexuellen Missbrauch und sexualisierte Gewalt (Herbst 2018) nach, die im Frühjahr 2019 zur gemeinsamen Initiative von DBK und ZdK geführt hat. Hinter individuellem Versagen Einzelner waren systematische Ursachen aufgetaucht, die anzugehen waren – »in der gemeinsamen Sorge um die Zukunft von Glaube und Kirche und im Wissen um die Notwendigkeit geistlicher Erneuerung und von Reformen, die mehr sind als bloße Schönheitsreparaturen und Lippenbekenntnisse«.
Viel ist seither geredet, analysiert, angeregt und erarbeitet worden. Philippa Rath räumt »Dämpfer« für ihre Motivation ein, nachdem anfängliche Verkrampfungen in den Synodalversammlungen zunächst einer wertschätzenden Debatte gewichen waren. »Ton und Stil« sind inzwischen bekanntlich »rauer und manchmal auch aggressiver« geworden: »Selbstgerechtigkeit und Schubladendenken haben mancherorts Einzug gehalten – so weit, dass reformwilligen Kräften das Katholisch-Sein und die Liebe zur Kirche abgesprochen, sie als Häretiker und Ungläubige diffamiert und sogar persönlich angegriffen und verleumdet werden.«
Und das passiert nicht nur im Internet: »Besonders betrüblich ist, dass dies alles keineswegs nur in den sozialen Netzwerken geschieht, die dafür bekannt sind, hasserfüllten, verletzenden und menschenverachtenden Kommentaren eine Plattform zu bieten. Nein, auch in früher einmal gut katholischen Blättern, in Predigten, Aufsätzen und Interviews greift diese Un-Kultur um sich und treibt ihr Unwesen.«
Grassierende Ängste und Unterstellungen
Dass Angst ein schlechter Ratgeber ist, mag als Binsenweisheit erscheinen. Die Frage ist, wie Ängste »produktiv, ja innovativ« werden können – vor allem dort, wo Chimären konstruiert werden und Gefühle im Spiel sind: der Verlust kirchlicher Heimat, die Preisgabe katholischer Identität.
Philippa Rath erinnert an Rückzugs- und Störmanöver: Einzelne Bischöfe und andere Synodale zogen sich zurück, schieden aus, entwarfen Gegenpapiere zu synodalen Vorlagen. Die Auseinandersetzung mit Texten verlagerte sich in die mediale Öffentlichkeit – bis hin zu einzelnen Bischofskonferenzen, die ihre Sorge um das deutsche Projekt bekundeten: »All dies ist dazu angetan, den Synodalen Weg zu kompromittieren und zu blockieren, die eher ängstlichen und wankelmütigen Bischöfe und Weihbischöfe einzuschüchtern und die Gläubigen zu verunsichern.«
Die vatikanische Erklärung vom Juli 2022 zum Synodalen weg, zunächst anonym, dann von Papst Franziskus dem Staatssekretariat zugeschrieben, war dabei alles andere als hilfreich, ja ein untauglicher und unredlicher Versuch, »wieder einmal viel Staub aufzuwirbeln und den Synodalen Weg in eine Ecke zu stellen, in die er wahrlich nicht hingehört. Da wurden erneut inhaltsarme ›Pappkameraden‹ aufgestellt und bekämpft, der Synodale Weg als deutscher Sonderweg gebrandmarkt und betont, dieser sei nicht befugt, ›die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten‹. Als ob dies je oberstes Ziel gewesen wäre und als ob es nicht von Beginn an eine Satzung des Synodalen Weges gegeben hätte, die all dies von vorneherein ausgeschlossen hat.«
Von Lateinamerika lernen: Ein neuer Katakombenpakt müsste her . . .
Ich kann nachvollziehen, dass Philippa Rath eindeutige, nicht nach allen Seiten hin offene, ja zweideutige Bekenntnisse und Positionierungen der Reformbefürworter unter den Bischöfen vermisst: »Hier ist noch viel Zaghaftigkeit und Zaudern im Spiel, zu viel Vor und Zurück, zu viel Halbherzigkeit und zu wenig Mut, offen und öffentlich für die Anliegen des Synodalen Weges einzutreten, sich miteinander zu vernetzen und gemeinsam sinnvolle Strategien zu deren Verwirklichung zu entwickeln. Ein neuer Katakombenpakt müsste her – in Anlehnung an die prophetische Selbstverpflichtung jener 40 Konzilsväter, die sich am 16. November 1965 für eine Kirche der Armen starkmachten und eine entsprechende Selbstverpflichtung eingingen; auch in Anlehnung an den zweiten, nicht weniger bedeutenden ›Katakombenpakt für das Gemeinsame Haus‹, der am 20. Oktober 2019 während der Amazonassynode von zahlreichen Bischöfen und Laien Lateinamerikas unterzeichnet wurde.«
Lernprozesse beschleunigen: Geht es nur unter Druck?
Ich verstehe ihre Rückfrage: »Was hält unsere Bischöfe – von einer Reihe von engagierten und überzeugenden Ausnahmen abgesehen – davon ab, sich deutlicher zu exponieren?« Angst vermutlich, und Wehleidigkeit, weil sie nur noch oder hauptsächlich als »bad boys« (Helmut Dieser, Aachen), als Vertreter einer »Täterorganisation« wahrgenommen werden und auf die horrenden Kirchenaustrittszahlen starren. Von »Kernschmelze« und »Implosion« der katholischen Kirche ist die Rede. Und dann?
Auch wenn Papst Franziskus nicht müde wird zu betonen, dass er unter Druck nicht entscheiden will: Ohne Druck geht es oft nicht. Ist die Schmerzgrenze nicht groß genug? Ohne Druck von unten wäre in den letzten fünf Jahren vieles überhaupt nicht auf den Weg gebracht worden in der deutschen Kirche: »Druck war und ist immer der Nährboden und Motor für Neues, oder, wie es das Münsteraner Missbrauchsgutachten betont: ›Lernprozesse werden nur auf Druck der Betroffenen in Gang gesetzt.‹«
Synodalität auf Dauer stellen – und Kirche neu denken
Philippa Rath referiert auch die verschiedenen Vorschläge, Synodalität auf Dauer zu stellen. Ob es dazu kommt, wird sich zeigen. Verschiebungen im bischöflichen Machtgefüge hätte das sicher zur Folge. Aber nur Beteiligung schafft Identifikation! Die Frage ist: »Wären DBK und ZdK überhaupt bereit, ihre bisherigen Strukturen grundlegend zu überdenken und neu zu gestalten?« Und der einzelne Diözsanbischof, der bisher lediglich gehalten ist, bestehende Räte anzuhören?
Aufeinander hören als Grundprinzip von Synodalität – echt hören, nicht simulierend, aus der Grundüberzeugung heraus, dass Gottes Geist sich nicht nur Bischöfen offenbart, sondern dass es den sensus fidelium gibt, also den Glaubenssinn aller Gläubigen und nicht nur der geweihten Amtsträger, dass es gilt, die »Zeichen der Zeit« wahrzunehmen. Ein Synodaler Rat, wie paritätisch auch immer zusammengesetzt, wäre eine Art Thinktank, in die verschiedene Gruppen ihre Erfahrungen, ihr Know-how einspeisen könnten, um Kirche neu zu denken. Kirche, die nicht eine Stände- oder eine Klerikerkirche ist, sondern eine Kirche der offenen Türen, die das pilgernde Volk Gottes in seiner Breite repräsentiert.
»Vielleicht«, so Philippa Rath, »könnten wir uns alle auf ein Diktum des islamischen Mystikers Dschalâl-ed-dîn Rumi besinnen, das lautet: ›Jenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort, dort treffen wir uns.‹« Wie passend! Wo sind die Propheten und Prophetinnen heute in Kirche und Welt? Hier ist eine! Das Signal ist eindeutig: Unbeirrt weitergehen!