»Meine Güte, was für ein Desaster! Und noch einmal: neue Verletzungen, neue Zurückweisungen, neue Abwertungen! Ein veritables vatikanisches Eigentor.

Die Bandbreite der Reaktionen auf die Erklärung vom 18. Dezember 2023, auf welche ich aufmerksam machte, hatte von »Sensation«, »Revolution« und »Kurswechsel« bis zu »Mogelpackung« gereicht. Auch von einem »Segen zweiter Klasse« war die Rede.

Wenn auf eine »Erklärung« des Dikasteriums für die Glaubenslehre (»Fiducia supplicans«) am 4. Januar 2024 eine weitere Erklärung folgt, die erläutern muss, was »eigentlich« gemeint war, was missverstanden oder falsch gedeutet oder unvollständig interpretiert wurde – dann ist das schlechte Kommunikation. Die, einmal mehr, Papst Franziskus auf den Kopf fällt.

Michael Schrom (»Liebesgrüße aus Rom«) wertete die Erklärung vom Dezember vor allem als »Positionierung des Papstes (. . .), der nicht möchte, dass sich die katholische Kirche weiterhin dem weltweiten Kulturkampf gegen Homosexuelle beteiligt In diesem Sinn ist es ein ehrenwerter und mutiger Schritt, gerade mit Blick auf die Zustände in Afrika und Russland. Doch wegen der theologischen Winkelzüge werden die Grabenkämpfe weiter befördert.« (Publik Forum, Nr. 1, 12.01.2024, 10)

Kardinal Fernández – der neue »bad boy« der Kurie

Auf den neuen Chef der Glaubensbehörde, den argentinischen Kurienkardinal Víctor Manuel Fernández, haben sich verschiedene Gruppen ohnehin schon seit Monaten eingeschossen. Von 2011 bis 2018 Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien, wurde er im Mai 2013 von Franziskus zum Titularerzbischof ernannt, eine Maßnahme, die ihn schützen sollte, später (im Juni 2018) zum Erzbischof von La Plata.

Fernández war und ist vielen ein Dorn im Auge – als mutmaßlicher Co-Autor bzw. Zuarbeiter zum Apostolischen Schreiben »Evangelii gaudium« (2013) und zum umstrittenen Nachsynodalen Schreiben »Amoris laetitia« (2016), das bekanntlich vier »Dubia«-Kardinäle auf den Plan rief. Fernández hatte dem Erzbischof von Buenos Aires bereits bei der Redaktion des Schlussdokuments der fünften CELAM-Konferenz in Aparecida (Brasilien) im Jahr 2007 assistiert, manche behaupten: die Feder geführt.

Eine deutsche Tageszeitung behauptete, schon in Argentinien habe er als »schlichtes Schattengewächs seines Mentors Bergoglio« gegolten, für seine Berufung in den Vatikan bringe er »weder Expertise für die römische Kurie noch Erfahrung mit weltkirchlichen Befindlichkeiten« mit, er sei ein »kurialer Springinsfeld«, die unzähligen Interview-Aussagen zeugten vor allem vom »Spaltpotenzial des Glaubenspräfekten«.

Dass ihm jetzt frühere Veröffentlichungen unter die Nase gerieben werden, die er als junger Priester veröffentlicht hat, darunter ein Buch über das Küssen oder über die mystische Leidenschaft, das Spiritualität und Sinnlichkeit thematisiert, kann nicht wirklich überraschen. Allerdings fordern deswegen restaurative Gruppierungen immer wieder seine Entlassung. Als er im September 2023 Kardinal wurde, protestierten Missbrauchsverbände und warfen ihm Fehler bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen als Erzbischof von La Plata vor. Der Papst solle seine Entscheidung, ihn zum Leiter der höchsten Glaubensbehörde zu ernennen, rückgängig machen.

Ein Scherbenhaufen: Rom hat verschlimmbessert

Otto Friedrich, stellvertretender Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung »Die Furche« und Leiter des Ressorts Religion, Medien und Film, hatte kurz vor Weihnachten in seinem ersten Kommentar zu »Fiducia supplicans« kurz vor Weihnachten noch von einer »schönen Bescherung« in der doppelten Bedeutung des Wortes gesprochen (Die Furche, Wien, Nr. 51/52, 21.12.2023, Seite 1). Jetzt legte er nach und spricht zurecht von einem »Scherbenhaufen« (Die Furche, Nr. 2, 11.01.2024, Seite 1): »Dass es im konservativen Kirchenlager Entrüstung geben würde, war vorauszusehen. Und auch, dass diese Parteiung welt­weit gut vernetzt ist und laut schreit, anstatt sich tatsächlich einer – auch kontroversen – Debatte zu stellen.«

Einen gewissen offenbarenden Wert hat die Tatsache, dass öffentlich wurde, dass Bischöfe aus der Ukraine, aus Polen und Kasachstan, dass der Primas von Ungarn, eine ganze Reihe von afrikanischen und US-amerikanischen Bischöfen und Kardinälen dem Papst de facto die Gefolgschaft verweigern. Die Krone setzten dem Ganzen Kardinal Müller auf und der (katholische!) Staatspräsident von Burundi. Müller bezeichnete jetzt mögliche Segnungen als »Gottes­lästerung«. Der Staatspräsident von Burundi empfahl, Homosexuelle zu steinigen.

Mit der Erklärung vom 4. Januar 2024 zu »Fiducia supplicans« habe Fernández, so Friedrich, »der konservativen Fundamentalopposition den Instant­-Segen auch für schwule und lesbische Paare doch noch schmackhaft zu machen« versucht. Das ging gründlich daneben: »Rom agiert wieder einmal, indem es ver­schlimmbessert.«

Schon die Rede von »irregulären Beziehungen« in der ersten Erklärung verletzte. Gleichgeschlechtlich Lebende und Liebende und wiederverheiratete Geschiedene, die um einen Segen bitten, wissen, worum sie bitten. Segen soll ihnen nicht aus Barmherzigkeit und gnadenhalber »gewährt« werden. In der nachgereichten Erklärung wird nun betont, es ginge nur um »Segnungen aus pas­toraler Fürsorge«, die nur en passant erfolgen, keine rituelle Form annehmen, nicht an einem zentralen Ort einer Kirche stattfinden und außerdem nicht länger als »10 oder 15 Sekunden« dauern dürften.

Ein Segen zweiter Klasse also, da haben die Kritiker recht! Fernández, der Drohbriefe erhielt (»Wir werden Sie vernichten!«) erklärte dazu: »Ich wusste, dass man sich über dieses 15-Sekunden-Detail lustig machen würde; aber ich bin das Risiko eingegangen, um deutlich zu machen, dass mit diesen Segnungen nicht die Welt untergeht.« Michael Schrom meinte schon vorher: »Willkommen am Katzentisch des Herrn. Welches Paar möchte um einen solchen Segen bitten?«

Christliche Beziehungsethik versus verkorkste Sexualmoral

Auch Kardinal Marx hatte in einer Pressekonferenz vor Weihnachten bemängelt, die Erklärung des Dikasteriums »eiere« herum und sei sprachlich nicht wirklich geglückt. Ich wünschte mir, dass die neue »Christliche Beziehungsethik« des in Brixen lehrenden Moraltheologen Martin M. Lintner OSM in Köpfe und Herzen käme. Er bemüht sich seit Jahren redlich, die Kirche vom Image einer verkorksten Sexualmoral zu befreien, die nicht lebensdienlich ist, sondern stur an (überkommenen) naturrechtlichen Prinzipien festhält.

»›Pastorale‹ Ausnahmen zu machen für Menschen, die weiter ›in Sünde‹ leben, ist nur Kosmetik«, befindet Otto Friedrich, »weil diese Menschen in ihrer Würde nicht ernstgenommen werden. Das gilt für alle, die in ›irregulären Beziehun­gen‹ leben. Solange Rom sich nicht traut, sei­ne Lehre von allen Menschen – die des Heils und des Segens bedürfen – und ihren Le­bensformen her zu entwickeln, sind Versu­che wie Fiducia supplicans nur gut gemeint. Und das ist – siehe den aktuellen Scherben­haufen – oft das Gegenteil von gut.«

Zwei Menschen dürfen gesegnet werden, aber man darf ihre Lebensform nicht absegnen: Wer will das noch verstehen und darin keine Abwertung sehen und erkennen? Ein Kurienbischof wird in einem Artikel mit den Worten zitiert: »Wir können nicht so viele Menschen ausschließen, von denen sich viele auch noch in der Kirche engagieren. Wenn ein Mörder um Vergebung bittet, bekommt er die Sakramente. Und Homosexuelle und wiederverheiratete Geschiedene lassen wir außen vor?«

Lehre entwickelt sich – und: Ewige Wahrheiten sind rar!

Geste hin, Signal her: Man ahnt, dass ein wahrer Kulturkampf in der Kirche ausgebrochen ist. Von einem »pastoralen Schisma« ist schon seit Jahren die Rede.  Und jetzt: Ein Präfekt, der als häretisch an den Pranger gestellt wird, ein Papst, dem Bischöfe nur folgen, wenn er bestimmte Themen weiterhin unter Verschluss hält und tabuisiert. Immerhin: Französische, portugiesische und österreichische Bischöfe haben sich hinter Franziskus gestellt.

Skrupulöse Priester erwarten von ihrem Bischof oder vom Papst, dass sie sagen, wo es lang geht. Sie sind jetzt verunsichert. Wenn der Papst Bischöfen Entscheidungen überlässt, erweisen sich diese als unfähig.

Auf Dauer wird diese Strategie nicht aufgehen: Die Lehre wird nicht geändert, aber in der Pastoral darf es Einzelentscheidungen geben, die Priester und pastorale Mitarbeiter zu verantworten haben. Natürlich ist das eine Öffnung.

Aber es gibt und braucht auch eine Lehrentwicklung. Eine, die auch anthropologische und humanwissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen muss. Kirche lebt nicht hinter dem Mond. Sie muss auf den einzelnen Menschen schauen, nicht nur auf die Tradition oder die vermeintlich unveränderliche Lehre, indem sie an »ewige Wahrheiten« erinnert. Solche gibt es. Aber doch bitte nicht, wenn es um das Leben und das Lieben von Menschen geht! Sie sind rar. Außerdem gilt auch hier, dass es bekanntlich eine »Hierarchie der Wahrheiten« gibt. »Die Liebe«, so der Münchner Philosoph Godehard Brüntrup SJ in einem sehr lesenswerten und weiterhelfenden Interview in Christ & Welt (Nr. 1, 28.12.2023), »sprengt jedes System«.

Willkommenskultur – ohne Vorbehalte

Die Erklärung zur Erklärung hat jedenfalls das Potenzial, sich selbst ad absurdum zu führen. – In der Jesuitenkirche St. Michael (München) wird es am 9. Februar 2024 einen »Segnungsgottesdienst für alle« geben. Willkommenskultur muss auch liturgisch ohne Wenn und Aber oder theologische Vorbehalte einen Ausdruck finden.

(Am 12.01.2024 ergänzt um zwei Zitate von Michael Schrom, Publik Forum.)