Am Hochfest Peter und Paul hielt Papst Franziskus nicht nur eine bemerkenswerte Predigt. Veröffentlicht wurde unter dem Datum 29. Juni 2022 auch ein neues Apostolisches Schreiben: »Desiderio desideravi – Über die liturgische Bildung des Volkes Gottes«. Der Rektor der Päpstlichen Hochschule Sant’Anselmo, der Österreicher Bernhard Eckerstorfer OSB, nennt das Dokument »bahnbrechend«.
Wenn man die Liturgiereform nicht akzeptieren kann . . .
Franziskus verteidigt darin das Zweite Vatikanische Konzil gegen alle restaurativen Tendenzen. Die Dokumente des letzten Konzils sind ohne Abstriche anzuerkennen, es kann keine Kompromisse geben. Das betrifft auch die Liturgiereform und den neuen Ritus. In seinem Motu proprio »Traditionis custodis«, das im Juli 2021 viel Staub aufgewirbelt hatte, nahm der Papst dazu bereits Stellung. Er kommt hier auch wieder darauf zu sprechen:
[Nr. 31] »(…) Ich verstehe nicht, wie man sagen kann, dass man die Gültigkeit des Konzils anerkennt – obwohl ich mich ein wenig wundere, dass ein Katholik sich anmaßen kann, dies nicht zu tun – und nicht die Liturgiereform akzeptieren kann, die aus Sacrosanctum Concilium hervorgegangen ist und die die Realität der Liturgie in enger Verbindung mit der Vision der Kirche zum Ausdruck bringt, die in Lumen Gentium auf bewundernswerte Weise beschrieben wurde. Aus diesem Grund fühlte ich mich – wie ich in dem Brief an alle Bischöfe erklärt habe – verpflichtet zu bekräftigen, dass ›die von den heiligen Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. in Übereinstimmung mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgierten liturgischen Bücher […] die einzige Ausdrucksform der Lex orandi des Römischen Ritus [sind]‹ (Motu Proprio Traditionis custodes, Art. 1).
Die Nichtannahme der Reform und das oberflächliche Verständnis der Reform lenken uns von der Aufgabe ab, Antworten auf die Frage zu finden, die ich immer wieder stelle: Wie können wir in der Fähigkeit wachsen, die liturgische Handlung voll zu leben? Wie können wir weiterhin darüber staunen, was bei der Feier vor unseren Augen geschieht? Wir brauchen eine ernsthafte und belebende liturgische Bildung.«
Keine Rückkehr zum früheren Ritus
Noch deutlicher wird er hier [Nr. 61]: »(…) Wir sind aufgerufen, den Reichtum der allgemeinen Grundsätze, die in den ersten Nummern von Sacrosanctum Concilium dargelegt sind, immer wieder neu zu entdecken und die enge Verbindung zwischen der ersten der konziliaren Konstitutionen und allen anderen zu verstehen. Deshalb können wir nicht zu jener rituellen Form zurückkehren, die die Konzilsväter cum Petro und sub Petro für reformbedürftig hielten, indem sie unter der Führung des Geistes und nach ihrem Gewissen als Hirten die Grundsätze billigten, aus denen die Reform hervorging. Die heiligen Päpste Paul VI. und Johannes Paul II. haben die revidierten liturgischen Bücher per Dekret Sacrosancti Œcumenici Concilii Vaticani II genehmigt und damit die Treue der Reform zum Konzil garantiert. Deshalb habe ich Traditionis Custodes geschrieben, damit die Kirche in der Vielfalt der Sprachen ein und dasselbe Gebet erhebt, das ihre Einheit zum Ausdruck bringt. Diese Einheit möchte ich, wie ich bereits geschrieben habe, in der gesamten Kirche des Römischen Ritus wiederhergestellt sehen.«
Guardini als heimlicher Kirchenvater
Mehrmals wird in dem neuen päpstlichen Dokument auch Romano Guardini zitiert, den Franziskus sehr schätzt: »Bildung zur Liturgie hin und die Bildung von der Liturgie her«.
Eine Reihe von Fragen und Bemerkungen (ars celebrandi) nehmen auch zu ganz konkreten Problemen Stellung, etwa Nr. 45: »Die Frage, die wir uns stellen, lautet also: Wie können wir wieder zu Symbolen fähig werden? Wie kann man wieder in der Lage sein, sie zu lesen, um sie zu leben?« Oder (Nr. 46): »Zuallererst müssen wir das Vertrauen in die Schöpfung zurückgewinnen. Damit meine ich, dass die Dinge – mit denen die Sakramente ›gemacht‹ sind – von Gott kommen, auf Ihn ausgerichtet sind und von Ihm aufgenommen wurden, besonders bei der Inkarnation, damit sie Werkzeuge des Heils, Träger des Geistes, Kanäle der Gnade werden konnten. Hier spürt man die volle Distanz sowohl zur materialistischen als auch zur spiritualistischen Vision. Wenn die geschaffenen Dinge ein unverzichtbarer Teil des sakramentalen Wirkens sind, das unser Heil bewirkt, müssen wir uns ihnen gegenüber mit einem neuen Blick vorbereiten, der nicht oberflächlich, sondern respektvoll und dankbar ist. Sie enthalten von Anfang an den Keim der heiligmachenden Gnade der Sakramente.«